Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
entschlossener.
Auf ihre erste Dosis Realität musste sie nicht lange warten. Ihren Streifenwagen durch Downtown steuernd hatte sie die Second Avenue nach möglichem Ärger abgesucht. Plötzlich erhielt sie auf ihrem stetig blinkenden Monitor die Nachricht von einer Messerstecherei. Mit Blinklicht und Sirene machte sie sich auf zur angegebenen Adresse und fand dort einen jungen schwarzen Mann in einem schäbigen Hausflur liegen. Heulende Familienangehörige und Freunde umringten ihn und versuchten, die Unmengen an Blut zu stoppen, die aus einer Wunde in seinem Bauch flossen. Verzweifelt versuchten sie, seine Innereien wieder zurückzustopfen. Aber sie konnten ihn nicht retten, er starb zu ihren Füßen. Minuten später kam der Krankenwagen, aber es war zu spät, um Taylor in einer dunklen Straße in einem der schlimmsten Stadtviertel vor dem Verlust eines Großteils ihrer Unschuld zu retten. Sie wickelte die Formalitäten vor Ort ab und fuhr zurück zum Revier. In der Umkleidekabine bemerkte sie, dass ihre Stiefel mit dem Blut des Mannes bedeckt waren. Sie konnte das sie in diesem Moment überwältigende Gefühl nicht beschreiben, aber sie hatte schnell gelernt, ihre Gefühle nicht zu beachten.
Bei dem Gedanken an das junge Mädchen, das beim Anblick von etwas Blut auf ihrem Schuh beinahe in eine Schockstarre verfallen war, musste Taylor leise lachen. Seitdem hatte sie vieles gesehen, genug, um ihren idealistischen Blick auf den Beruf, den sie als Anfängerin gehabt hatte, aufzuweichen. Jetzt, mit fünfunddreißig, war sie der jüngste weibliche Lieutenant der Mannschaft, hatte ein großartiges Team an Detectives in ihrer Mordkommission und mehr als genug Blut gesehen – manchmal ihr eigenes, manchmal von ihrer Waffe verursacht. Ja, ihr Idealismus war wahrlich – und wahrscheinlich endgültig – verflogen.
Sicher in dem Wissen, wer sie war, und relativ glücklich mit dieser Person fuhr sie vor dem Gebäude der Gerichtsmedizin in der Gass Street vor.
Baldwin hatte ihr vorgeschlagen, sich bei der Academy zu bewerben, sich der Hearusforderung zu stellen und FBI-Agentin zu werden, aber sie hatte dankend abgelehnt. Sie gehörte nach Nashville.
Dr. Sam Loughley, Gerichtsmedizinerin und Taylors beste Freundin, nähte gerade den Y-Schnitt an Jessica Porters fahler Brust, als Taylor den Autopsieraum betrat.
“Wow, du warst schnell. Ich wusste nicht, dass du schon fertig sein würdest.”
Sam schaute auf und lächelte durch ihre Kunststoffmaske. “Ich bin nicht früh, du bist spät. Es ist schon halb acht. Tim, kannst du das hier für mich fertig machen?”
“Sicher, Doc, kein Problem.” Sam überreichte die Instrumente ihrem Assistenten und entledigte sich auf dem Weg zum Dekontaminationsraum ihrer Handschuhe und des Kittels. Taylor folgte ihr pflichtbewusst.
Erst nachdem Samantha sich umgezogen und sie beide mit einer Tasse Tee in ihrem Büro saßen, äußerte sie sich zur Autopsie.
“Sie ist nicht sehr stark misshandelt worden.”
“Ich weiß nicht, Sam, erwürgt zu werden und die Hände abgetrennt zu bekommen scheint mir ein bisschen exzessiv, meinst du nicht?”
Sam nickte. “Ja, natürlich. Ich meine nur, dass sie nicht verprügelt worden ist oder so. Die Hände sind ihr postmortal abgenommen worden. Sie ist mit den Händen erwürgt worden, und es gibt keine Anzeichen einer Vergewaltigung. Es war nicht so schlimm wie einige andere Fälle, die ich schon gesehen habe. Sie ist nicht verletzt worden, sondern zeigte nur die charakteristischen Spuren, die mit einvernehmlichem Sex einhergehen. Er hat ein Kondom mit antispermizidem Gleitmittel benutzt, und ich habe nichts gefunden, aus dem sich DNA extrahieren lässt. Dr. John Baldwin, unser außerordentlicher FBI-Agent, hat vorhin angerufen und mich gebeten, alle Spuren und Blutproben ans FBI-Labor zu schicken. Dort geht es schneller.”
Trotz aller Versuche, es zu ändern, hatte Nashville kein eigenes forensisches Labor, um die Spuren von Tatorten zu untersuchen. Baldwin hatte ihnen also soeben größere Kopfschmerzen erspart.
“Hast du sonst noch irgendwelche Informationen für mich?”
“Nicht wirklich, Taylor. Die Ergebnisse werden erst in ein paar Tagen eintrudeln. Todesursache war definitiv das Erdrosseln. Wir müssen jetzt einfach auf den Rest warten. Baldwin erwähnte, dass es sich um einen laufenden Fall handelt?”
“Er scheint zu denken, dass es das Werk eines Serienmörders ist, den das FBI den Southern Strangler getauft hat. Dem Modus
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