Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
Überzug. „Er ist gleich hier, auf dem Kleiderbügel, auf dem auch dein Kleid gehangen hat. Deine Haare wurden so frisiert, dass wir den Schleier darin feststecken können, und sie sehen großartig aus. Willst du den Schleier jetzt schon dranmachen oder erst in der Kirche?“
Taylor verdrehte die Augen und stand auf. „Lieber erst in der Kirche, sonst verknittere ich ihn noch in der Limo. Ich wollte nur sichergehen, dass ich ihn nicht vergesse.“ Sie musterte das zusammengelegte Tuch; es sah aus wie ein Kilometer Stoff. „Verdammt, Sam, wie lang ist das verfluchte Ding?“
Maddy stimmte ein ohrenbetäubendes Geheul an, aber Sam antwortete trotzdem: „Ein bisschen länger als dein Kleid, damit er hinter dir herschwebt und dich einfach fantastisch aussehen lässt. Und jetzt hör bitte auf, okay? Ich muss mich kurz um dieses Mädchen hier kümmern.“
Ein weiterer Schrei entrang sich dem kleinen Wesen, ein wenig leiser als der vorhergegangene. Sams Gesicht verzog sich. Taylor tätschelte ihren Arm. „Geh und kümmre dich um sie, Süße. Ich komme schon klar. Ich bin nur nervös. Du tust jetzt, was du tun musst.“ Sam nickte und verschwand.
So, das war es jetzt also. Der Moment, von dem sie immer geträumt und nie erwartet hatte, dass sie ihn erleben würde. Ihre Gefühle waren stärker in Aufruhr, als sie gedacht hatte. Sich selbst, das wertvollste Geschenk, das sie schenken konnte, Baldwin zu geben, war ohne Zweifel ein kluger und vernünftiger Zug. Aber sie fragte sich trotzdem, warum sie dem hier zugestimmt und nicht auf einem ruhigen Strand irgendwo in der Einsamkeit bestanden hatte. Eine große kirchliche Hochzeit war nicht gerade das, was sie wollte, aber hier war sie nun. Die zwei Seelen in ihrer Brust standen in Flammen – die eine vor Nervosität, die andere vor Freude.
Ihre Aufgeregtheit war jedoch nicht das Einzige, was ihr Sorgen machte.
Sie zog das gefaltete Stück Papier aus dem BH. Trotz allem wollte sie an diesem Tag ein Stück von ihrem Vater bei sich haben. Sie konnte nicht sagen, warum. Doch anstatt ihre Gefühle zu analysieren, hatte sie akzeptiert, dass sie da waren, und entsprechend gehandelt. Der Zeitungsausschnitt war beinahe zwei Monate alt und schon ganz abgegriffen.
Vermisster Kapitalist aus Nashville vermutlich tot
St. Barthélemy, Französische Antillen (AP)
Die Suche nach dem Mann aus Nashville, der während eines Segeltörns vor St. Jean verschwunden ist, wurde zu einer Rückführungsaktion, nachdem ein Rettungsteam seine leere Yacht THE SHIVER gefunden hatte.
Die Rettungstrupps setzten die Suche am Montag fort. Bei dem Vermissten handelt es sich um Winthrop Jackson IV, 56, einen Industriellen, Unternehmer, Banker und verurteilten Verbrecher. Die Retter sagen, dass die Chancen, ihn nach zwei Tagen lebend zu finden, gering sind. Seine verlassene Yacht ist südlich vom Hotel Les îlets de la Plage in St. Jean auf Grund gelaufen; die beiden Dieselmotoren waren noch in Betrieb.
In diesem trockenen, unpersönlichen Ton ging der Artikel weiter: ein anonymer Reporter, der nur seine Arbeit machte. Taylor faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es zurück in ihren BH: Win würde bei ihr sein, ob lebendig oder tot. Zwei Monate ohne ein Wort, seine Leiche war nie gefunden worden – es war einfach zu glauben, dass er tot war. Dass er ein paar Gin Tonics zu viel genossen hatte und über Bord gefallen war. Die französischen Behörden hatten ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie genau dieses Szenario für am wahrscheinlichsten hielten. Mit dem ihnen eigenen gallischen Flair hatten sie ihr die Schulter getätschelt und sie sich selbst überlassen. Sie kaufte es ihnen nicht ab. Er war ein zu erfahrener Segler, um sich zu betrinken und von seinem Boot zu fallen. Aber wenn er ein paar Drinks intus gehabt hatte und geschubst worden war …
Sie schaute noch einmal zur Uhr. Mist. Sie mussten los.
„Sam?“, rief sie. „Wir müssen gehen. Bist du so weit?“ Während sie sprach, ging Taylor zu dem anderen Raum der Suite. Die Babies weinten. Sam wechselte eine Windel, während Simon versuchte, einen Schnuller in Matts Mund zu stecken. Es herrschte totales Chaos. Sam schaute auf, und Taylor sah den Anflug von Panik in ihren Augen. Der Anfall der Zwillinge hätte in keinem ungünstigeren Moment kommen können.
Beim Anblick von Taylor in ihrem Hochzeitskleid verfiel Simon in ungewohntes Schweigen. Matt schrie lauter, während sein Vater den Schnuller nur Millimeter von seinem
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