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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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unterirdischen Garage. Ich ging mitten durch die Abgase, drängte mich zwischen den Bussen mit Menschen, die ein- und ausstiegen, und befand mich schließlich auf einer Straße mit einem so gewaltigen Verkehr, daß ich Angst bekam. Es dämmerte, und ich versteckte mich in der Dunkelheit eines Parks. Plötzlich meinte ich, es wären wilde Tiere in dem Park. Woher dieses Gefühl kam, weiß ich nicht, aber es war sehr stark, stärker als die Vernunft, die mir sagte, daß es in Europa keine Raubtiere gab.
    Ich blieb bis in die Morgendämmerung wach, während die Angst in meiner Brust hämmerte. Gerade als das erste schwache Morgenlicht die Dunkelheit aufzulösen begann, sah ich einen betrunkenen Mann auf einem der Kieswege heranschwanken. Er setzte sich auf eine Bank, beugte sich vor und erbrach sich. Dann schlief er ein. Ich schlich mich zu ihm, stahl ihm die Brieftasche und lief weg. Dann versteckte ich mich wieder, diesmal in einem dichten Gebüsch, das nach Urin stank, und zu meinem Erstaunen entdeckte ich, daß die Brieftasche voller Geldscheine war. Ich steckte sie in die Tasche, warf die Brieftasche weg und verließ den Park. Ich frühstückte in einem Cafe, und mir wurde klar, daß ich nicht länger gehen mußte, jetzt hatte ich ja Geld. Ich konnte einen Stadtplan kaufen, den Bahnhof heraussuchen und einen Zug bis

zu der Grenze nehmen, die im Norden lag, und dann die Reise im Zug fortsetzen, solange das Geld reichte.
    Nach Frankreich gelangte ich, indem ich an der Grenze durch einen Graben kroch. In der Ferne hörte ich Hunde bellen und jaulen, genau wie die weißen Schäferhunde in dem Lager, aus dem ich entflohen war. Das Geld, das ich übrig hatte, wechselte ich in einer kleinen Stadt. Immer noch blieb mir genug, um regelmäßig Mahlzeiten zu mir zu nehmen und Zugfahrkarten zu kaufen. Aber als ich die Bank verließ, wurde ich von einem Polizisten angehalten, der mich nach meinen Papieren fragte. Ich holte meinen sudanesischen Paß hervor, aber dann überlegte ich es mir anders und rannte weg. Ich hörte den Polizisten hinter mir herrufen, aber er schaffte es nicht, mich einzuholen. In diesem Moment begriff ich, daß ich magische Kräfte besaß. Wenn ich an einer Grenze durch einen Graben kroch, machte die Angst mich unsichtbar, und wenn ich verfolgt wurde, bewegte ich mich genauso schnell wie einer der Vögel, die ich über dem Tal auf der anderen Seite des Flusses nahe bei meinem Heimatdorf in den warmen Aufwinden hatte dahingleiten sehen. Jetzt wußte ich, daß ich das Land, das Schweden hieß, wirklich erreichen würde, solange ich nicht versuchte, gegen meine Angst anzukämpfen. Sie war mein wichtigster Bundesgenosse. Sie half mir, Kräfte zu entdecken, von denen ich nicht wußte, daß ich sie besaß.
    In den Tagen, die folgten, war ich so aufgeregt über meine Entdeckung, daß ich nächtelang lief, immer in Richtung Norden. Manchmal folgte ich den Pfaden, die sich entlang der Straßen wanden, auf denen Autos vorbeirasten. Aber ich bewegte mich genauso schnell, und meine Augen konnten in der Dunkelheit sehen, als ob die Nacht von starken Scheinwerfern erhellt wäre. Lag vor meinen Füßen ein Stein oder ein Abgrund, bemerkte ich dies, obwohl alles um mich her schwarz war.

Eines Morgens kam ich zu einem großen Fluß mit braunem Wasser, das träge dahinfloß. Am Uferrand war ein Ruderboot mit einer Kette an einem Baumstamm befestigt. Mit einem Stein zertrümmerte ich das Schloß und schob das Boot ins Wasser. An diesem Tag verzichtete ich darauf, vorsichtig zu sein und mich bis zum Einbruch der Dunkelheit still zu verhalten. Ich ließ das Ruderboot treiben, streckte mich der Länge nach auf dem Boden aus, der nach Teer roch, schaute hinauf in die Wolken, die hoch über meinem Kopf dahintrieben, und merkte, daß ich plötzlich angefangen hatte, wieder ganz ruhig zu atmen. Es war, als wäre ich außer Atem gewesen, seit ich in Spanien über den Zaun geklettert und in der Dunkelheit verschwunden war. Ich schlief ein und träumte, daß mein Paß wie zwei Türen war, die zu einer Landschaft aufgestoßen wurden, die ich aus meiner Kindheit kannte. Dort konnte ich meinen Vater sehen, wie er mir entgegenkam und mich wie eine Feder hochwirbelte, die er zur Sonne hinaufwerfen wollte, um mich in seinen warmen Armen aufzufangen, wenn ich langsam wieder zur Erde herabsank.
    Ich wurde davon wach, daß das Ruderboot schwankte. Ein langes Bugsierschiff war vorbeigefahren. Hemden flatterten an einer Wäscheleine an Bord

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