Tea-Bag
blieb zuerst in einiger Entfernung stehen, um sie zu betrachten. Da sie sehr schön war, ging er nach Hause und wechselte das Hemd, ehe er zu dem Baum zurückkehrte. Unser Häuptling, der Mbe hieß, sah schlecht und mochte es nicht, wenn fremde Menschen ins Dorf kamen. Mein Vater und die anderen Männer versuchten ihm zu erklären, daß Glitzerstaub von den Händen dieser Frau fiel und daß ihre Haare ganz blau waren und daß man wohl gut daran täte herauszufinden, weshalb sie gekommen war. Mbe ließ sich widerwillig zu dem alten Baumstamm führen, auf dem er seinen Platz hatte, und bat die Frau, die er nicht sehen konnte, näher zu treten. Dann roch er an ihr.
- Tabak, sagte er. Sie riecht nach Zigaretten.
Die Frau verstand. Sie nahm eine Schachtel mit dünnen schwarzen Zigaretten und reichte sie Mbe, der sich sofort eine anzünden ließ. Dann fragte er, wer die Frau sei, wie sie heiße und woher sie komme. Ich stand eingekeilt zwischen den anderen Kindern, genauso neugierig wie sie, und hörte, daß die Frau Brenda hieß und daß sie uns helfen wollte, und Mbe rief - eine starke Stimme hatte er, auch wenn er blind war -,
daß alle Kinder und Frauen und Männer, die noch nicht erwachsen waren, sich entfernen sollten, da er nur im Kreis der Männer, die klug und vernünftig waren, hören wollte, was Brenda zu berichten hatte.
Die Frauen gehorchten, allerdings unter großem Zögern und Murren. Später, als Brenda sich in einer von Mbes Hütten zur Ruhe gelegt hatte, kam mein Vater nach Hause, und er flüsterte lange an der Rückseite des Hauses mit meiner Mutter. Mazda schien beunruhigt. Es war, als verstünde er, daß es bei ihrem Gespräch um ihn ging. Wir wurden still und ängstlich, als wir hörten, daß sie zu streiten anfingen. Ich weiß noch, was sie sagten, obwohl nicht alle Worte in meinem Kopf hängengeblieben sind.
- Du kannst nicht wissen, wer sie ist.
Es war meine Mutter, die das sagte, und ihre Stimme war von einer Verzweiflung erfüllt, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte.
- Mbe sagt, man kann ihr trauen. Eine Frau mit blauen Haaren muß eine bemerkenswerte Frau sein.
- Wie kann er wissen, daß sie blaue Haare hat, wenn er blind ist?
- Schrei nicht so. Wir haben es ihm gesagt. Dann sieht er, was er nicht sehen kann.
- Vielleicht frißt sie Kinder.
An letzteres erinnere ich mich ganz genau. Mazda erstarrte und bekam solche Angst, daß er mich in die Hand biß.«
Tea-Bag hielt ihm ihre Hand hin. Jesper Humlin erkannte die vernarbten Spuren von Zähnen am Handgelenk.
»Es tat so weh, daß ich erschrak und nach ihm schlug. Er kauerte sich im Sand zusammen, den Kopf in den Händen verborgen. Kurz darauf kam mein Vater und sagte zu Mazda, er solle ihm folgen. Die Frau, die Brenda hieß, sammelte in
den armen Dörfern Kinder zusammen, um sie mit in die Stadt zu nehmen, wo sie dann zur Schule gehen durften. Sie bezahlte dafür. Mein Vater sagte, er habe das Geld selbst gesehen. Was er zuerst für ihren Bauch mit einer Trommel unter der Haut gehalten hatte, hatte sich in einen Gürtel aus Krokodilleder voller Geldscheine verwandelt. Wenn Mazda in die Stadt käme, würde er jeden Monat Geld nach Hause schicken können. Da er in die Schule gehen durfte, würde er später eine Arbeit bekommen, die sicherstellen würde, daß sich niemand in der Familie mehr Sorgen machen müßte, wenn der Regen nicht zurückkehrte und der Fluß austrocknete.
Mazda verschwand noch am selben Tag, und ich habe ihn nie wieder gesehen. Keines von den Kindern, die sich an diesem Tag mit Brenda auf den Weg machten, ist je zurückgekommen. «
Tea-Bag unterbrach ihre Erzählung, stand auf und verließ die Küche. Jesper Humlin fand, es war, als sei sie plötzlich aus dem Schatten ihres Elternhauses hervorgetreten. Er folgte ihr ins Wohnzimmer. Als er sah, daß sie ins Bad ging, kehrte er in die Küche zurück. Tea-Bag kam wieder.
- Warum folgst du mir?
- Was meinst du damit?
- Du folgst mir zur Kirche im Tal der Hunde. Und du folgst mir, wenn ich auf die Toilette gehe.
Jesper Humlin schüttelte den Kopf. Zugleich fühlte er sich ertappt.
- Das Tal der Hunde?
- Wo die Kirche liegt.
- Warum nennst du es das Tal der Hunde?
- Ich habe dort einmal einen Hund gesehen. Einen einsamen Hund. Es war, als sähe ich mich selbst. Er war nirgendwohin unterwegs. Und er kam nirgendwoher. Du bist mir dorthin gefolgt. Und eben hast du vor der Toilette gestanden.
- Ich dachte, dir sei vielleicht nicht gut.
Sie betrachtete ihn
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