Techno der Jaguare
konnte die Frage zwar hinunterschlucken, sprang aber vom Sessel auf.
Wieder fiel ihr ein, dass Alexander sie ja gar nicht sehen konnte, darum zog sie ihren engen Blazer aus, der sie schon die ganze Zeit über genervt hatte, und legte ihn auf die Sessellehne. Nun stand sie in ihrem dünnen, tief ausgeschnittenen Oberteil da, das ihre sinnlichen Kurven betonte.
Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte es über Alexanders Gesicht.
Lisa hatte sich noch nicht entschieden, wie sie weitermachen sollte. Sie nahm ihre Notizen vom Tisch, warf sich den Blazer über den Arm und fragte zögernd:
»Vielleicht … möchten Sie mir ja Ihre Werke zeigen.«
»Die kann man doch überall sehen«, kam es wieder kurz angebunden zurück. Abgesehen von einem leicht spöttischen Ton hatte seine Stimme die bisherige Kälte verloren.
»Natürlich habe ich sie schon in Museen gesehen … auch in den Straßen … und auch Bilder davon …« Lisa versuchte, sich die Kränkung nicht anmerken zu lassen. »Aber in der Werkstatt ist das doch etwas ganz anderes!«
Alexander blieb stumm. Lisa nahm nun auch ihr Diktiergerät vom Tisch und sah ihn eisern an.
»Sie haben doch einmal gesagt, dass Sie nicht verstehen, warum alle so auf Ihrer Blindheit herumreiten …«, fuhr sie nun trotzig fort. »Dass ein Künstler nach seinen Werken beurteilt werden sollte und nicht nach den Umständen, unter denen er sie schafft … sei er nun ein Krüppel oder nicht.« Lisa wiederholte seine frühere Äußerung Wort für Wort. »Und jetzt erzählen Sie mir, dass erst die Blindheit Sie zur Kunst gebracht hat.« Sie brach ab und betrachtete Alexanders Gesicht, konnte jedoch keine Reaktion darin erkennen. »Wenn Sie mir Ihre neuen Werke zeigen, mache ich ein paar Fotos davon … Bitte zeigen Sie mir doch Ihre Werkstatt …«, versuchte sie es nun ein bisschen sanfter. »Sie waren doch einverstanden mit dem Interview, nun könnten Sie mir doch auch …« Lisa suchte nach den richtigen Worten. »Es geht hierbei ja nicht nur um meine eigene Neugier. Es interessiert unsere Leser …«
Alexander wollte sich keine Schmeicheleien anhören und unterbrach sie.
»Niemand darf meine Sachen sehen, bevor sie fertig sind. Aber einige vollendete Stücke müssten noch in der Werkstatt sein … Gehen wir …« Er stand auf.
Lisa nickte ihm zufrieden zu. Dann fiel ihr wieder ein, dass diese Geste hier ja gar keinen Sinn hatte, und sie bedankte sich. Sie schaltete das Diktiergerät aus, hängte sich die Tasche über die Schulter und drehte sich um, so dass sie Alexander ihren Rücken zukehrte, über den sich das tätowierte Alphabet schlängelte. Nachdem sie einige Schritte gegangen war, bemerkte sie, dass sich der Künstler nicht vom Fleck gerührt hatte, und blieb wieder stehen.
Alexanders Gesicht hatte sich verändert, seine Kiefermuskeln spannten sich.
»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte er plötzlich mit gepresster Stimme.
»Wie bitte?« Lisa schaute sich im Zimmer um.
»Gehen Sie! Ja, Sie meine ich. Gehen Sie, sofort!«
Lisa wurde von den Leibwächtern bis zum Gittertor gebracht, besser gesagt gehetzt. Hinter ihr krachte das Tor ins Schloss. Gekränkt und verwirrt blieb sie eine Weile vor dem Tor stehen, dann kochte die Wut in ihr hoch und sie schrie:
»Verfluchte Idioten!« Sie zog sich den Blazer über und machte sich grimmig auf den Weg.
Für eine Weile hegte sie die Hoffnung, dass sie jemand mitnehmen würde, aber vierzig Minuten vergingen, ohne dass auch nur ein einziges Auto vorbeifuhr. Schließlich rief sie den Taxidienst an und verbrachte noch einmal eine halbe Stunde mit Warten. Müde und enttäuscht kehrte sie ins Hotel zurück. Noch etwa hundertmal ging sie alle Einzelheiten des Gesprächs mit Alexander durch, aber das abrupte Ende konnte sie sich nicht erklären.
In dem ordentlich aufgeräumten Hotelzimmer herrschte der angenehme Duft von Sauberkeit. Gleich am Eingang ließ sie ihre Sachen fallen, zog die Schuhe und den Blazer aus und warf sich auf das Bett. Nach einer Weile holte sie eine Flasche Wasser aus der Minibar und setzte sich wieder an ihren Laptop.
»Hallo Lisa, wie geht es dir? Bis du gut angekommen? Hast du dich schon eingerichtet? ›Madame Kultur‹ ist fuchsteufelswild. Sie meint, du hättest ihr das wichtigste Interview der Saison geklaut. Aber sie ist schon wieder ganz gut drauf, sie ist sicher, du wirst die Sache eh verbocken und ohne brauchbare Ergebnisse zurückkommen. Du weißt ja, die hat sie nicht mehr alle!
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