Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
Vom Netzwerk:
Mein Schlafzimmer und ihre Küche liegen Wand an Wand. Sie weinte schon wieder. Am Tag zuvor hatte ich sie im Aufzug getroffen, wo sie mir erzählte, dass ihr Mann sie verlassen hätte.
    Es war vier Uhr morgens.
    ***
    Mein DPMS AR-15 bewahre ich im Kasten unter der Couch auf, auf der wir uns lieben, lieben, lieben. Viktor und ich.
    ***
    Ich saß am Nachbartisch. Sie sprachen über seine Klassenkameraden.
    »Weißt du, Mami«, sagte der Junge, »unsere Lehrerin sagt, Elena ist die Beste in Mathe. Sie sagt, es ist eine Schande für uns Jungs, dass ein Mädchen besser ist.«
    »Da bist du selbst dran schuld«, sagte die Frau. »Du machst nie Extra-Hausaufgaben, du bist einfach zu faul.«
    »Ich bin nicht faul! Ich bin schlau! Sogar schlauer als Elena.«
    »Dann beweise es mir.« Die Frau lächelte.
    »Das werde ich!«
    »Bitte, Giorgi, stopf dir nicht so viel in den Mund! Du kriegst ja kaum noch Luft! Wenn du dein Essen so in dich hineinstopfst, dann brauchst du dich nicht zu beschweren, wenn du Bauchschmerzen kriegst.«
    Auch jetzt sah die Frau müde aus, obwohl es Sonntagmorgen war. Wir saßen bei McDonald’s.
    ***
    Mit neun nannte man mich schon ›Schlampe‹.
    »Schämt euch, ihr Memmen!«, schnaufte der Lehrer für Zivilverteidigung verächtlich. Er zeigte auf mich: »Die ist die Beste im Schießen.« Er war ein alter Mann mit nur einer Hand und einer Narbe im Gesicht; ein Andenken an den Zweiten Weltkrieg, hieß es.
    »Schämt euch!« Er war wütend. »Das arme kleine Mädchen kann besser schießen als ihr! Ein Mädchen! Dabei denken eure Väter, dass sie Männer großziehen! Männer, die ihre Feinde bei lebendigem Leibe auffressen. Und ihr? Was macht ihr? Ich könnt nicht mal schießen!«
    Drei der Jungs warteten hinter der Schule auf mich. Auch jetzt noch kann ich mich an ihre Gesichter erinnern, obwohl es so stark schneite, dass man kaum die Augen offen halten konnte.
    »Du Schlampe!«, sagte einer von ihnen und ging auf mich los.
    Sie schlugen mich, als wäre ich der Feind, den es bei lebendigem Leibe aufzufressen galt. Schließlich wurden sie müde und ließen von mir ab. Ich saß auf dem gefrorenen Boden, kratzte etwas Schnee zusammen und stopfte mir das weiß-rote Zeug in den Mund. Meine Nase blutete.
    Eine Weile blieb ich dort sitzen. Dann stand ich auf, meine Schultasche war bereits schneebedeckt, und ging nach Hause.
    ***
    Es war kalt. Trotzdem war der See voller Enten. Das künstliche Wasserbecken im Zentrum der Stadt, das wir See nennen. Sie saß auf einer Bank; der Junge fütterte die Enten. Auch ich saß auf einer Bank, nicht weit entfernt. Sie saß still da und schaute vor sich hin. Ich saß still da und schaute sie an. Plötzlich sah sie zu mir herüber – vielleicht hatte sie meinen Blick gespürt. Mir war kalt im Rücken. Sie hatte tiefe, dunkle, melancholische Augen.
    Sie lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Plötzlich konnte ich ihre Einsamkeit genauso spüren, wie ich meine eigene immer spürte.
    In der kalten Luft konnte man ihren Atem sehen.
    ***
    Er hat eine Glatze. Ich schieße gern auf Glatzen, darauf lässt sich der rote Zielpunkt besser ausrichten.
    Ich erinnere mich noch, als Kind konnte ich den ganzen Tag lang mit meinen bunten Stiften Punkte malen, auf Papier, Tischdecken, Kissenbezügen, Wänden, überall. Vor allem mochte ich rote. »Oh Gott, diese Punkte! Schon wieder alles voller Punkte! Irgendetwas stimmt mit dir nicht, meine Kleine.« Mama machte sich Sorgen. Ich liebte die Punkte; besonders liebte ich es, sie noch zu verstärken, sie größer und größer zu machen, dunkler und dunkler.
    Dann hatte Mutter die Nase voll von diesen Punkten, die ich überall hingemalt hatte, und brachte mich zu der Kinderpsychologin, einer verdrießlichen alten Frau, die ich sofort hasste, als ich sie sah.
    »Kleines Mädchen, sag mir doch bitte mal, was das für wunderschöne Punkte sind, die du da immer malst?«
    Ich sagte nichts.
    »Bedeuten die irgendetwas?«
    »Das sind keine Punkte«, sagte ich. Ich war traurig und ärgerte mich. »Ihr versteht mich nicht! Ich male keine Punkte.«
    »Was soll das denn sonst sein?«, fragte sie ungeduldig.
    »Das sind Sonnen.«
    »Sonnen?«
    »Ja. Sonnen.«
    Mama sah verlegen aus, auch die verdrießliche Psychologin sah verlegen aus, und ich war so traurig wie nie.
    Ich legte diese schlechte Angewohnheit erst ab, als ich in die Schule kam. Aber die Faszination für Punkte und Sonnen habe ich nie verloren.
    Auch jetzt noch finde ich, dass die Sonne

Weitere Kostenlose Bücher