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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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Hütte war unerträglich leer und beschwerlich. Adna dachte, der Kreis schließt sich. Sie wollte die Blutflecken nicht sehen. Und sie hasste das silberne Kleid. Sie sehnte sich nach Dio, der, irgendwo unterwegs, noch immer von Adna träumte, bestimmt. Sie sah nur noch seinen Schatten. Sein Gesicht schien aus ihrem Gedächtnis zu schwinden. Verzweifelt versuchte sie, Dios Züge zusammenzufügen. Nur ein paar Bruchstücke seines Lächelns konnte sie festhalten. Nur Bewegungen. Den schwarzen Pullover. Das silberne Halsband, das Adna beunruhigte. In die Stadt, dorthin, wo die fünfte Hütte war, wollte sie nicht mehr zurück. Mit den Fingern fuhr sie über ihr verstaubtes Gesicht. Sie dachte, dass sie nie mehr weinen würde. Dio hatte ihr alles Gefühl geraubt. Einsamkeit und Stille erdrückten sie nicht mehr. An ihren nackten Füßen kitzelte das weiche Gras. Bei Einbruch der Dunkelheit tauchte eine Hütte auf, in der das Absurde auf Adna wartete.
    Die Hütte des Absurden
    In der runden und klebrigen Hütte waren Adnas Träume aus der Kindheit eingesperrt. Durch das Fenster sah sie die Albträume jener Zeit. Mit den Fingern blieb sie an der Wand kleben. Sie vermied es, die Hütte mit dem Körper zu berühren. Ihre Handflächen taten höllisch weh. Sie erschrak. Im Zimmer gewahrte sie den Fremden, jenen Mann aus fernen Kindertagen. Der Fremde war ganz in Schwarz, wie damals. Und wie damals konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Unzählige bunte Kügelchen sausten um ihn herum. Adna kannte sie sehr gut. Es waren lebendige Zellen, die alles, was sie berührten, erstarren ließen. Fassungslos stand Adna da und betrachtete ihre zu Stein gewordene Kindheit. Sie heulte, heulte hysterisch, vor Angst und Schmerz. Der Mann wandte sich zum Fenster. Er kam näher. Nur das Glas trennte sie noch. Der Fremde schob seine Mütze aus der Stirn. Irgendwie ähnelte er Dio, nur dass er beunruhigend blaue Augen hatte. Adna verstummte. Mit aller Kraft riss sie ihre Handflächen von der Wand und rannte weg. Für Groll blieb ihr keine Zeit, der Mann war ihr schon auf den Fersen. Sie fürchtete, bald würde auch sie erstarren. In der Ferne erblickte sie eine Hütte, die Tür stand offen. Adna begriff, sie musste es bis dorthin schaffen, um sich zu retten, und sammelte ihre letzten Kräfte.
    Mios Hütte
    Mit aller Kraft schlug Adna die Tür hinter sich zu. Sie keuchte, traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Spürte einen warmen Lufthauch im Gesicht. Eine innere Ruhe erfüllte sie, und sie begriff: In dieser Hütte herrschte ein sehr stilles, angenehmes und wohltuendes Gefühl.
    ***
    Mio war etwas ganz Besonderes für sie. Er hatte Vaters Stimme. Sie sehnte sich danach, ihn in ihre Arme zu schließen. Sie hatte Angst. Mio würde es nicht verstehen, er würde nicht verstehen können, warum sie sich so verhielt. Adna litt. Mio war weder Vater für sie noch Mann. Aber sie liebte ihn! Sie fand keinen Namen für dieses Gefühl. Immer wenn sie an Grenzen gelangte, suchte sie nach Mio. Dieser Mann war einsam, einzigartig und gleichzeitig einer von vielen. Er verwirrte Adna. Mio war tiefsinnig, wie der Vater, geduldig und still ertrug er Adna und ihr bewegtes Leben.
    ***
    In keiner der Hütten hatte Adna so viel Ruhe gespürt. Da war Mio. Und er stellte keine Fragen. Adnas blutleeres, bleiches Gesicht beunruhigte ihn. Er drückte sie an seine Brust. Adna erkannte, dass sie noch immer fühlen konnte. Sie wimmerte. Dieser Frieden in der Hütte gehörte zu ihrem Leben – aber nicht zu dem Weiblichen in ihr.
    Die neunte Hütte
    Angsterfüllt öffnete Adna die Tür der neunten Hütte. Sie war verblüfft. Die Hütte war leer und verwahrlost. Ihr wurde klar, dass sie nie mehr von hier weggehen würde. Adna spürte eine grenzenlose Freiheit. Sie trug eine mit Schlamm gefüllte Schüssel in die Hütte, versuchte, die Risse in der Wand damit zu verfüllen. Das Zeug ließ sich nur schwer verstreichen. Es war anstrengend. Doch nach und nach verschlossen sich die Ritzen. Sie arbeitete ohne Pause. Malte verschiedene Figuren an die Wände. Alle waren da: Dio, der Vater, der Mann aus dem Traum, Mio, die Mutter! Die Schuhe waren auch da, die sie in ihrer Verwirrung irgendwo liegen gelassen hatte.
    Das unangenehme Gefühl aus der Kindheit störte sie in dieser Leere nicht mehr. Sie atmete den Geruch ihres Körpers tief ein. Wieder dachte sie an Dio.
    Aus dem Fenster war der Pfad zu sehen, weit und grün. Das karge Feld löste sich auf, irgendwohin.

TAMTA

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