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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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Ich blieb stehen und hob eine Hand, die andere hielt ich mir vor den Bauch und sagte ehrerbietig: »Es grüßt euch der tanzende Wiedehopf!«
    Peinliches Schweigen. Um genau zu sein: Die ganze Küste war von Schweigen ergriffen. Die Wellen des Schweigens schwappten sogar bis nach Istanbul und übertönten dort die arabischen Radiofrequenzen. Von irgendwo dort vernahm ich das Klacken einer Gebetskette, und in einer leeren Schachtel verglühten Tabakreste. Alle starrten mich an. Scham überkam mich. Ich begriff die Unangemessenheit meiner Aktion und enteilte vom Tatort.
    Ich starrte auf das Meer hinaus und überflog eine Zeitschrift: »Techno erobert die Herzen der Menschen« stach die Überschrift hervor.
    Hey, ihr da, auf der sowjetischen Afterparty!
    Heute ist der Todestag der Schwester meines Großvaters. Morgen der seiner zweiten Schwester, und nächste Woche der seiner dritten. So waren sie dahingegangen, eine nach der anderen.
    Ich wurde von drei Großmüttern, Großvater, Mutter, Vater, Onkel und Tante großgezogen. Von meinem Großvater stahl ich teure Füller und verkaufte sie billig an meinen Vater – ich schwindelte ihn an, dass es ein Geschenk von einem Schulkameraden sei. Mein lukratives Geschäft fand jedoch ein jähes Ende, als ich meinem Vater einen Füller mit goldener Feder verkaufte, den mein Großvater als Ehrengabe aus Brüssel bekommen hatte. Als mein Vater während einer hitzigen intellektuellen Debatte im Familienkreis stolz damit herumgestikulierte, riss mein Großvater die Augen auf. Mein Vater erstarrte mitten in seiner Geste, und dann warfen mir beide vorwurfsvolle Blicke zu.
    »Du Diebin!!!« klang es mir den ganzen Abend lang in den Ohren.
    »Verräterin!!!«
    Aber sie verziehen mir. Wie lange hätten sie mir schon die kalte Schulter zeigen können? Schließlich bestand für alle diese Leute der Sinn des Lebens darin, sich um mein Wohlergehen zu sorgen.
    Als mich einmal eine meiner Großmütter von der Schule abholte, deponierte ich ein Kuchenstück aus einer französischen Bäckerei in meiner Tasche, nachdem ich es nicht geschafft hatte, es zu essen. Kaum zu Hause angelangt, verschwand meine Großmutter ins Badezimmer, und aus Angst, bestraft zu werden, zog ich mir schnell einen Stuhl heran und legte das Kuchenstück oben auf den Kühlschrank. Am Abend versammelten wir uns alle im Wohnzimmer. Der eine meiner Erziehungsberechtigten hatte eine Schultasche für mich gekauft, der andere ein Kleid, ein Lego-Haus oder Kekse … und man betratschte die üblichen Alltäglichkeiten. Plötzlich ertönte die Stimme einer meiner Großmütter aus der Küche, die verwundert ihre ältere Schwester fragte, ob sie das Kuchenstück auf den Kühlschrank gelegt habe. Ich begriff sofort, dass, wenn ich jetzt schwiege, in unserer großen Familie ein sehr interessantes Spiel beginnen würde. Und tatsächlich ging es gleich los.
    »Nein, wahrscheinlich hat es der Vater für Gogona gekauft.«
    »Ich war das nicht!«
    »Ich auch nicht!«
    Einer nach dem anderen stand auf. Die Luft knisterte.
    »Seid doch nicht so kindisch, wer war es denn nun?«
    Die Stille lag schwer in der Luft, und die Blicke wanderten im Kreis. Mit einem Hauch von Unschuld summte ich vor mich hin.
    »Merkwürdig«, sagte die Großmutter, die das Kuchenstück entdeckt hatte, nachdenklich und warf es in den Müll. Es schien, als ob alles wieder seinen gewohnten Gang gehen würde.
    Ich wollte das Spiel aber fortführen, und so kaufte ich jeden Tag ein Kuchenstück und legte es auf den Kühlschrank. Nach einer gewissen Zeit wurden die Familienmitglieder misstrauisch. Erst tauschte mein Großvater das Schloss der Wohnungstür aus. Dann bestellten meine Großmütter unsere Nachbarn zu uns, um sie auszufragen, ob sie mich vielleicht vergiften wollten. Und um das Spiel spannend zu halten, heulte ich manchmal: »Ich habe Angst, was ist hier los, ich habe doch niemandem etwas getan!«
    Die Farce nahm kein Ende, und letztlich hielt auch in unserer Familie die in der ganzen Stadt verbreitete Geschichte von Außerirdischen und Poltergeistern Einzug. Und als die Erwachsenen meiner Familie einer nach dem anderen sogar begannen, ihre Arbeit zu schwänzen, um der Sache auf die Schliche zu kommen, bekam ich Angst. An einem Abend nahm ich die toleranteste meiner Großmütter an der Hand und brachte sie in mein Zimmer. Zuerst ließ ich sie ihr Ehrenwort geben, dass sie mich weder umbringen noch bestrafen würde, wenn ich ihr ein Geheimnis verraten würde. Sie

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