Techno der Jaguare
ein riesiger roter Zielpunkt ist, Mama.
***
Er stieg aus dem Auto. Er trug denselben dunklen Mantel und einen kleinen Koffer. Er beugte sich zum Fenster, um dem Fahrer etwas zu sagen, und ging dann auf den Hauseingang zu. Als ich seinen Rücken sah und die Rückseite seines kahlen Kopfes, überkam mich ein plötzliches Schaudern.
»Dies ist ein Geschenk von mir«, sagte ich; ich glaube, sogar laut.
Ich schoss.
***
Ich bin eine ganz normale Frau von 39 Jahren. Ich arbeite für eine der einflussreichsten Parteien unseres Landes, im Pressebüro. Ich schreibe Reden für den Vorsitzenden. Ja, die Arbeit ist langweilig, Routine eben, aber ich brauche Routine. Ich bin gewöhnt an ein Leben in Routine. Ich lebe allein in einer Ein-Zimmer-Wohnung in der Innenstadt. Aber eigentlich bin ich gar nicht allein; ich habe eine Katze, Vitorio, und einen Liebhaber, Viktor, ein verheirateter Mann, mit dem ich mich jeden Samstag treffe. Na ja, wir vögeln jeden Samstag, darin besteht unsere Beziehung. Ein ganz normales Leben, in dem nichts Besonderes passiert. Sie würden es vielleicht öde nennen. Mag sein. Aber ich habe mir dieses Leben selbst ausgesucht. Und ich glaube nicht, dass eine Familie und Kinder irgendetwas daran geändert hätten. Wir kommen allein auf die Welt, und wir sterben allein. So ist das. Ich sehe, Sie lächeln. Ich weiß, das klingt banal, aber trotzdem ist es wahr.
***
Treffpunkt war das Café an der Kreuzung, nicht weit von meinem Büro. Er saß am Fenster und rauchte. Er sah nett aus, ein blasser Mann in den Dreißigern.
»Taufe?« Ich nannte das Kennwort.
»Ja, hier.« Er stand nervös auf.
»Ebenfalls hier.« Ich setzte mich.
***
»Es ist besser, wenn Sie zuerst hinausgehen«, sagte ich.
»Natürlich«, sagte er und küsste mir die Hand.
Idiot!
***
Ich blieb noch eine Weile sitzen. Ich dachte nach. Der Ober kam.
»Möchten Sie noch einen Kaffee? Oder vielleicht einen Tee?«
Ich sah ihn an.
»Jetzt habe ich die Wahl, oder?«
»Wie bitte?« Er beugte sich vor.
Ich lächelte. Ich hatte mich noch nicht entschieden, wen ich umbringen würde, ihn oder den ›alten Mann‹, wie er seinen Geschäftspartner nannte.
»Noch einen Espresso, einen doppelten diesmal«, sagte ich zum Ober.
NESTAN (NENE) KWINIKADZE
TECHNO DER JAGUARE
Nestan (Nene) Kwinikadze, geboren 1980 in Tbilissi, ist Schriftstellerin, Journalistin und Dramaturgin. Sie studierte Filmjournalismus am Schota-Rustaweli-Institut für Theater- und Film-Wissenschaften zu Tbilissi und in Amerika. Sie moderierte Sendungen des georgischen Fernsehens und wirkte selbst als Schauspielerin in drei Filmen mit. Derzeit arbeitet sie als Chefredakteurin zweier georgisch-englischer Monatszeitschriften, Focus und Tbilisi out , und ist Produzentin der täglichen Fernsehsendung Mittagsshow beim georgischen Privatsender Rustavi 2.
Nene Kwinikadze veröffentlichte mehrere Erzählbände und Romane. 2003 erschien ihr Debütroman Die Nachtigallen von Isfahan , 2008 ihr zweiter Roman Techno der Jaguare . 2011 wurde ihr Buch Jetzt , das die englische Übersetzung von zwei Erzählungen und eines Theaterstückes enthielt, auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert.
Nene Kwinikadze gehört zur jungen Generation georgischer Schriftstellerinnen, deren persönliche und literarische Natur durch das historisch-nationale und das sowjetische Gedächtnis am wenigsten belastet ist. In ihrem Roman Techno der Jaguare erzählt sie von einer Frau, die in der modernen georgischen Gesellschaft gegen den Strom schwimmt. Die auf sich selbst gestellte Protagonistin mit ihren guten und schlechten Seiten steht stellvertretend für die neue Frauengeneration in Georgien.
NESTAN (NENE) KWINIKADZE
TECHNO DER JAGUARE
In Georgien
Es ist Mittag.
Wie ich feststellen musste, hatte ich meinen Schlüssel nicht dabei. Sopho war in einen Schönheitssalon gegangen, ohne mir den Schlüssel zu hinterlegen. Was sollte ich nun machen? Ungefähr eine Stunde lang musste ich draußen ausharren. Ich ging den Boulevard entlang, übernächtigt und mit brummendem Schädel. Schlecht gelaunt schlich ich vor mich hin. Ich bemerkte, dass man neue Bänke aufgestellt hatte. Die Anordnung der Bänke ließ mich an ein Amphitheater denken. Auf den Bänken saßen Leute: Kinder mit Müttern, Liebespärchen, alte Ehepaare. So wie die Bänke aufgestellt waren, blickten alle in dieselbe Richtung. Als würden sie auf etwas lauern oder etwas Bestimmtes erwarten. Im Allgemeinen oder von mir? Ich glaube, von mir.
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