Tee macht tot
waren.
Man hätte meinen können, dass Agatha deswegen etwas dankbarer hätte sein müssen, aber das war sie nicht, denn Agatha meinte, dass dieses harmoniesüchtige Weib einfach nicht die Niedertracht des Lebens verstand. Es wurde doch endlich Zeit, das die Schlüter mit der Scheiße des Lebens konfrontiert wurde. Der Neid darüber, dass der Junge die Nachbarin lieber mochte als sie, zerfraß sie fast.
Warum diese seltsam einseitige Verbindung so viele Jahre gut ging, wusste niemand zu sagen, denn Agatha hatte nur Vorwürfe für ihre Nachbarin übrig. Warum sei Bens Hose kaputt - sie habe kein Geld, um neue Sachen zu kaufen. Warum spielte der Junge draußen - wo er doch so ein Tollpatsch war.
Doch Tanja Schlüter nahm sich die Widerborstigkeit von Agatha nicht zu Herzen. Hier hatten sich auf seltsame Weise zwei Lebensarten gefunden, wie sie ungleicher nicht hätten sein können. Nachsicht traf auf Unnachgiebigkeit, Güte auf Härte.
Tanja Schlüter sagte einmal, dass jedes noch so harte Eisen mit Geduld geschmiedet werden könne.
Ben war sich da nicht sicher, da er bei seiner Mutter nicht von Eisen sprechen konnte. Eher von einem kalten Stein, und ein Stein konnte nicht geschmiedet, sondern nur zerschlagen werden. Es war ein hartes Urteil, das er über seine Mutter fällte; manchmal wünschte er sich, sie würde in einen Waschkessel fallen und ertrinken.
Was Agatha am allerwenigsten leiden konnte, war, dass ihr Sohn, wenn er von der Schlüter kam, nach Veilchen, oder noch schlimmer, nach Lavendel roch. Dieser Geruch nach Harmonie, pfui, Leichtigkeit, ekelhaft und Glück, ein Fremdwort, verdarb ihr die Laune.
Als Ben endlich das Alter besaß, um der herrischen Regentschaft seiner Mutter entfliehen zu können, begann er ein Studium. Nun war es an der Zeit, sein eigenes Ding zu machen, wie er sich ausdrückte, und dieses Ding sollte so weit wie möglich von seiner Mutter entfernt sein.
Viele Jahre zogen ins Land, in denen Mutter und Sohn den Kontakt auf das Nötigste beschränkten. Zwischenzeitlich richtete sich Agathas Argwohn auch mehr auf andere Dinge als auf ihren Sohn. Wo sie nur konnte, mischte sie sich ungefragt in anderer Leute Leben und war auch sonst alles andere als eine nette alte Dame. Man hatte das Gefühl, dass sie mit jedem weiteren Lebensjahr ein klein wenig boshafter wurde. So verbrachte sie ihre neu gewonnene Freiheit damit, die Nachbarschaft zu tyrannisieren.
Jede Verfehlung wurde akribisch der Polizei gemeldet, weswegen der Nachbarsjunge vor nicht allzu langer Zeit auch einen Besuch von den Herren in Grün bekam. Im Raum stand der Vorwurf des Drogenhandels. Dass der Junge erst zehn Jahre alt war, spielte für Agatha dabei eine untergeordnete Rolle und dass er keine Drogen, sondern Sammelkarten getauscht hatte, ebenfalls.
Die Jugend von heute war sowieso verkommen und eine Generation von nichtsnutzigen Möchtegerns, die den Untergang von Moral und Ordnung heraufbeschworen. Eine ordentliche Tracht Prügel hatten sie allesamt verdient.
Warum sie das tat? Zuerst einmal deswegen, weil es sie noch nie einen Deut darum geschert hatte, was und wie die Leute über sie dachten, zum anderen, weil sie festgestellt hatte, je dreister sie wurde, desto weniger setzten sich die Menschen zur Wehr. So konnte sie unbehelligt kommandieren, schikanieren und diktieren.
Doch irgendwann hat alles mal ein Ende, und selbst der gutmütigsten Person platzt irgendwann der Kragen.
Die ständigen Beschwerden seitens des Vermieters veranlassten ihren Sohn Ben zu dem, was er dann tat. Kurzerhand versprach er nämlich, dafür zu sorgen, dass seine Mutter das Haus verließ.
20
Irgendwo zwischen Zimmer 9 und Zimmer 3 des dritten Stockes war Frieda Paulsen abhanden gekommen. Doch wo, stellten sich die anderen unweigerlich die Frage. Wo kann eine kleine Frau innerhalb von Minuten hin verschwinden?
Obwohl sich Esther und Ingrid an das ständige Abhandenkommen von Frieda schon innerhalb weniger Tage gewöhnt hatten, war die Suche nach ihr jedes Mal mit viel Aufregung verbunden. Die demenziellen Beeinträchtigungen machten es für Frieda immer schwieriger, dem normalen Leben ohne Hilfe ihres Mannes zu folgen. Doch Reinhold, dieser gute Mann, hatte eine Engelsgeduld mit ihr. Wie es Frieda aber schaffte, selbst den Weg zur Toilette nicht zu finden, war und blieb für Esther ein Rätsel.
Das dritte Mal hatten sie sich in dieser Woche schon auf die Suche nach ihr gemacht, und zweimal davon hatte
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