Tee macht tot
starrte an die Decke. Sie schien nicht mitzubekommen, dass sich Besuch in ihrem Zimmer eingefunden hatte.
Erst als Esther an ihr Bett trat und ihren Kopf zu Elfriede beugte, war eine Reaktion zu erkennen.
Elfriede ließ ihren Blick, wenn auch nur kurz, zu Esther gleiten, um dann wieder an die Decke zu starren.
„Man wird sie noch mit den Füßen voran hinaustragen, wenn sie damit nicht aufhört!“, schimpfte Ingrid.
Elfriede zog die Bettdecke fester um sich und starrte einfach weiter.
Ingrid van Brekelkam, die nicht wirklich sehr viel für solche Sentimentalitäten übrig hatte, verschränkte die Arme vor sich. Wenn man starb, starb man, wenn man lebte, lebte man, meinte sie, aber man durfte seine Tage nicht einfach so mit Herumliegen verplempern. Deshalb fragte sie, wie lange Elfriede Weber gedenke, ihre Tage mit Nichtstun zu vergeuden.
„Bis zum Tod“, erwiderte Elfriede. Danach erklärte sie, während sie weiterhin an die Decke starrte, dass ihr das wohl auch nicht zu verdenken sei. Elfriedes wässrige Augen verdunkelten sich; schlaff neigte sie den Kopf leicht zur Seite. Ein bemitleidenswerter Anblick, da waren sich die vier Besucher einig. Aber dafür waren sie ja gekommen, die Freunde, um Elfriede aufzumuntern.
Esther setzte Wasser auf.
Reinhold und Frieda zogen sich einen Stuhl an das Bett, um Elfriede gut zuzureden.
Ingrid van Brekelkam zog sich keinen Stuhl heran, brauchte sie ja auch nicht.
Freundlich lächelte Frieda die Kranke, die genau genommen ja nicht krank war, an. Aber auch davon ließ sich Elfriede nicht beeindrucken. Sie wollte sterben; daran konnte auch der Besuch nichts ändern. Doch davon ließ sich wiederum Frieda nicht beeindrucken. Freimütig erzählte sie von ihren Problemen und wie das Leben so war, wenn man in ständiger Sorge war, selbst die dritte Tür eines Flures nicht zu erreichen. Sie erzählte von ihrer geringen Größe und wie schwer es war, wenn man kaum über einen Gartenzaun sehen konnte und dass trotz alledem das Leben doch irgendwie auch schön war. Denn es gab so viele Menschen, die sich um einen sorgten.
Ingrid und Esther waren einigermaßen erstaunt, mit wie viel Herz Frieda reden konnte, und noch mehr waren sie erstaunt, dass Frieda es tatsächlich geschafft hatte, Elfriedes Aufmerksamkeit zu erregen.
Nun berichtete Elfriede ihrerseits freimütig und unumwunden von ihrem Bedürfnis nach ewigem Schlaf. Das Leben sei für sie nicht mehr erstrebenswert seit dem Tod ihrer Tochter. Der Wunsch, bei ihr zu sein, ließe ihr Herz immer wieder krampfhaft zusammenziehen.
Es schlug gerade einundzwanzig Uhr, als der Teekessel zu pfeifen begann. Esther Friedrichsen stand auf und goss ihre sorgfältig ausgewählte Mischung auf. Danach riss sie das Fenster auf, um Elfriede etwas frische Luft zu gönnen. Während sie nun darauf warteten, dass der Tee zog, erzählte Esther Friedrichsen von dem Leben da draußen. Der Frühling habe bereits Einzug gehalten, und der gesamte dritte Stock mache sich Sorgen um sie. „Willst du dem Leben denn nicht doch noch eine Chance geben?“ Liebevoll legte Esther ihre dicke Hand auf Elfriedes. „Zumindest noch die schöne Jahreszeit genießen.“
Nachdenklich starrte Elfriede wieder an die Decke und seufzte auf, setzte sich und ordnete ihr Nachthemd. Vielleicht sei da doch noch ein klein wenig Lebenswille, meinte sie, und dankbar sei sie für den Besuch.
15 Minuten später, als Esther sich wieder auf den Stuhl, neben das Bett setzte und Elfriede etwas von dem Tee nippte, waren sich alle Anwesenden einig. Der Besuch bei Elfriede und der Tee taten ihr gut.
Unerklärliche Gründe führten jedoch zu dem, was darauf passierte.
21
Kaum, dass Elfriede ein weiteres Mal an ihrem Tee nippte und sich ihre Augen, dank der Aufmunterungsversuche der vier Senioren wieder zu klären begannen, hob sie ihre Hand in ungeahnter Schnelligkeit.
Esther fragte sich, ob Elfriede ihnen damit zu verstehen geben wollte, dass sie nun dem Leben eine Chance geben wollte? In aller Seelenruhe sprach sie deshalb weiterhin auf Elfriede ein, signalisierte ihr freundlich mit einem Winken, dass sie Elfriede verstünde.
Frieda und Reinhold taten es ihr gleich.
Ingrid kraulte gedankenverlorenen ihren Krambambuli auf ihrem Schoß und fand, dass Esther wirklich eine Gabe hatte, anderen Menschen das Leben zu erleichtern.
Durch das geöffnete Fenster wehte ein frischer Lufthauch den Mief der letzten Tage hinaus.
Elfriede winkte noch hektischer,
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