Teeblätter und Taschendiebe
hat das Bild später im Center gemacht, als die Frau dorthin zurückkam, nachdem man ihr die Tasche weggerissen hatte. Das war kurz nachdem der Mann in Lila Theonia daran gehindert hatte, die Dose aufzuheben, soweit wir wissen. Die Frau hat sich wahnsinnig aufgeregt und überall erzählt, man hätte sie bestohlen, schien aber unverletzt, sagt Theonia. Da sie die Frau nicht kannte, war sie nicht sicher, ob die Aufregung echt oder nur vorgetäuscht war.«
Bill schüttelte den Kopf. »Dazu wäre Phyllis gar nicht fähig.« »Sie kennen die Frau?«
»Kla-har. Phyllis hatte früher eine Art Eisladen in unserem Viertel. Sie hat Wassereis verkauft, von einem großen Block abgeschabt, in einen Pappbecher getan und Sirup daübergegossen. Drei Cent hat sie dafür genommen. Phyllis konnte nur bis drei zählen. Man konnte auch nicht Limone, Zitrone oder was weiß ich bestellen, sondern mußte Gelb, Orange, Grün oder Rot sagen. Phyllis kannte die Geschmacksrichtungen nicht, nur die Farben. Keiner hat je herausfinden können, welche Geschmacksrichtung Rot war, aber uns hat es nicht gestört. Phyllis ist in Ordnung. Hey, das ist wirklich ein gutes Foto von ihr. Ich bin froh, daß sie wieder eine Beschäftigung gefunden hat.«
»Was ist aus dem Eisladen geworden?« erkundigte sich Sarah.
Bill zuckte mit den Achseln. »Stadtsanierung.«
»Hat sie eine Wohnung oder ein Zimmer? Wo schläft sie?«
»Vermutlich überall und nirgends. Phyllis hat zwar Verwandte, aber sie war immer ziemlich unabhängig.«
»Glauben Sie, daß sie wie viele der SCRC-Leute beim Sammeln eine feste Route hat und sich auch daran hält? Oder paßt es besser zu ihr, einfach planlos umherzuziehen, wie sie gerade Lust hat?«
Bill schlängelte sich näher an Sarah heran und schenkte ihr einen tiefen Blick aus seinen großen dunklen Augen. »In Phyllis Laden drängte man sich nicht einfach zur Theke vor. Jeder wartete ordentlich in der Schlange, bis er an der Reihe war. Bevor sie einen fragte, was man wollte, mußte man die Hand hochheben und seine drei Cent vorzeigen. Die vier Flaschen mit den verschiedenen Geschmacksrichtungen standen immer in derselben Reihenfolge auf der Theke: Gelb, Orange, Grün, Rot. Egal, was man wollte, sie fing immer mit Gelb an und sagte die Farben auf, bevor sie zu der Fla-sche kam, die man wollte. Dann nahm sie den Pappbecher, kratzte das Eis ab und füllte es hinein. Sie stellte ihn auf die Theke, schraubte den Verschluß von der Flasche und goß drei Glucks auf das Eis.«
Bill lächelte. »Sie sagte dabei nämlich immer >Gluck, Gluck, Gluck<. Wir haben es alle im Chor mit ihr zusammen gesagt. Dann schraubte sie den Verschluß wieder auf die Flasche, nahm die drei Cent, zählte sie einzeln ab in ihre Kasse und gab einem das Eis.
Selbst wenn das nächste Kind genau dasselbe wollte, wiederholte sie die gesamte Prozedur, ohne auch nur einen einzigen Gluck auszulassen. Wenn man versuchte, vorlaut zu werden, oder ungeduldig wurde, kam sie hinter der Theke hervor, packte einen am Kragen und am Hosenboden, egal wie groß man war, und warf einen hinaus auf die Straße. Ich würde daher sagen, Phyllis hat eine feste Route. Wenn jemand versuchen sollte, sie davon abzuhalten, wird er sein blaues Wunder erleben.«
»Wenn man einen Kurier sucht, der einen ganz bestimmten Punkt zu einer ganz bestimmten Zeit erreichen und von dort aus auf einer festgelegten Route zu einem anderen Punkt gehen soll, wäre die zwanghafte Phyllis demnach die ideale Person«, meinte Brooks.
»Man müßte sie allerdings genau kennen.«
»Sehr richtig, Mr. Jones. Und man müßte schnell genug sein, um nicht sein blaues Wunder zu erleben. Kennen Sie vielleicht zufällig auch eine der anderen Personen?«
Brooks breitete seine Fotos vor Bill aus. »Das sind alles SCRC-Mitglieder, die zufällig im Center waren, als Theonia dort war.«
»Wie hat sie es bloß geschafft, diese Aufnahmen zu machen?« wunderte sich Sarah.
»Mit Brooks Dick-Tracy-Gürtelschnallenkamera.« Max schien sich köstlich zu amüsieren.
»Mit einer modifizierten Version«, erwiderte Brooks bescheiden. »Vielleicht ist euch heute Theonias Sonnenbrille mit dem ungewöhnlich breiten und zugegebenermaßen unglaublich scheußlichen Gestell aufgefallen?«
»Ich habe mich schon gefragt, woher sie die wohl hat«, sagte Sarah.
»Sie gehörte ursprünglich einer früheren Vermieterin von mir. Sie hat darauf bestanden, mit mir eine kleine Bootstour auf dem Jamaica Pond zu machen und das Ding am Tag
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