Tegernseer Seilschaften
allem.«
»Bei den Fichtners klettert niemand in der Familie«, berichtete Bernhard Anne, als sie zum Mittagessen nach Hause kam und noch nicht einmal die Jacke ausgezogen hatte.
»Echt? Das ist ja cool! Dann ist meine kriminalistische Intuition also doch nicht so schlecht.«
Anne wollte Bernhard mit einem ungestümen Kuss belohnen, doch er entwand sich ihr. »Jetzt möchte ich aber wissen, wieso das von Bedeutung ist.«
»Was?«, fragte Anne und lächelte ihn neckisch an.
»Na, das mit dem Klettern.«
Anne erklärte ihm, dass Fichtner an einem ziemlich teuren, nigelnagelneuen Kletterseil der Marke Edelrid gehangen habe, als man ihn fand. Ihres Wissens bekomme man solche Seile nur in Sportfachgeschäften oder im Internet. Und ganz ehrlich: Sie glaube nicht, dass der Landwirt Fichtner, der vermutlich den ganzen Stall voller Kälberstricke hängen habe, sich extra für seinen Selbstmord ein edles Kletterseil zugelegt habe. Das sei doch völliger Blödsinn. Ergo habe die Selbstmordtheorie einen ernsthaften Haken. Ergo müsse man an dieser Sache dranbleiben. Es könne sich auch um Mord handeln.
»Das ist gut, dass Sie gleich zu mir kommen«, begrüÃte Nonnenmacher Anne, nachdem sie wieder in der Dienststelle war. »Wir haben nämlich einen Tipp bekommen, dass heute ein privates Ferraritreffen am Tegernsee stattfindet. Da habe ich mir gedacht, dass mir in Gmund eine Radarfalle aufstellen könnten, ganz unverbindlich. Was halten Sie davon?«
Anne hielt rein gar nichts davon. »Ich wollte mit Ihnen eigentlich noch einmal über den Fall Fichtner sprechen.«
»Nix Fichtner, Frau Loop, Ferrari! Der Fichtner wird morgen beerdigt, das wissen Sie auch! Jetzt seienâs halt nicht so stur. Wenn Sie weiterkommen wollen bei uns, dann müssen Sie schon kooperativ sein.« Nach kurzem Innehalten fügte er mit der Andeutung einer Drohung in der Stimme hinzu: »Denken Sie daran, dass Sie nur auf Probe in der Ermittlungsgruppe sind. Wenn diese Sperenzien jetzt nicht bald aufhören, dann machen Sie Schichtdienst und gehen Streife. Ich hoffe, Sie wissen, was das heiÃt.«
»Herr Nonnenmacher, ich habe aber ein hieb- und stichfestes Indiz dafür, dass der Herr Fichtner sich nicht umgebracht hat.«
»Und das wäre?«, fragte Nonnenmacher völlig ungläubig.
»Er hing an einem nigelnagelneuen Kletterseil der Marke Edelrid.«
Nonnenmachers Blick drückte so etwas wie »Na und« aus. Doch Anne lieà sich nicht beirren.
»Ja glauben Sie denn, dass sich der Herr Fichtner, der einen Kuhstall voller Kälberstricke hat, extra ein sauteures Kletterseil kauft, um sich umzubringen? Und das auch noch, obwohl er überhaupt keinen Grund dazu hat? Herr Nonnenmacher, ich halte es für auÃerordentlich fahrlässig, hier nicht noch den richtigen Leuten ein paar gezielte Fragen zu stellen.«
»Das wird halt ein Seil von einem Sohn oder sonst wem sein«, wiegelte Nonnenmacher ab. »Wir machen heute eine Eins-a-Ferrarifalle. Gerade jetzt, wo jeden Tag etwas über die Wirtschaftskrise in der Zeitung steht und der Staat einen Haufen Geld braucht, damit er es an die Arbeitslosen und andere Bedürftige verteilen kann, ist es unsere Pflicht als Beamte, dass wir auch unseren Teil dazu beitragen, dass es den Reichen ans Schlafittel geht. Die sind doch schuld an der ganzen Krisenmisere!«
Ohne auf Nonnenmachers Ausführungen einzugehen, sagte Anne: »In der ganzen Familie Fichtner gibt es aber keinen einzigen Klettersportler.«
»Wer sagt das?«, fragte Nonnenmacher misstrauisch. Er witterte, dass die neue Kollegin sich nicht an seine Anweisung gehalten hatte, weitere Ermittlungen zu unterlassen.
»Mein Lebensgefährte Bernhard kennt die Fichtners noch aus seiner Jugendzeit.«
Jetzt sah Nonnenmacher Anne zum ersten Mal konzentriert an. »Aber woher wollen Sie wissen, dass es ein neues Seil ist?«
»Ich habe es mir aus der Asservatenkammer geholt und bin damit zum Sport Schlichtner in Rottach-Egern. Die sagen, dass dieses Seil um die hundertfünfzig Euro kostet. Würde ein sparsamer Bauer in seinen Selbstmord noch einmal so viel investieren? Würde er das wirklich tun, Herr Nonnenmacher? Sie kennen die Tegernseer doch so gut.« Mit den letzten Worten war Annes Tonfall sehr scharf geworden. Sie bereute das sofort und schob mit der mädchenhaften Art, die sie perfekt beherrschte,
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