Tegernseer Seilschaften
Bier, das er heute am Spätnachmittag auf dem Freisitz in seinem Garten mit Blick auf den Kurpark und das Gulbransson-Museum zischen würde. Mücken gab es noch keine, das würde ein angenehmer Abend werden. Wellness pur, wie man hier am Tegernsee heutzutage sagte. Aber diese junge Frau Loop stellte alles infrage. Wuchs sie ihm über den Kopf? Natürlich hatte er auch schon bei früheren Betrachtungen des Fotos gesehen, dass der Hosenträger nicht am Bund endete. Anscheinend war er dabei aber in seiner Wahrnehmung von der Tatsache, dass ein Tegernseer sich das Leben genommen hatte (was von der Urnatur des Tegernseers her ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte), so blockiert gewesen, dass er diesen merkwürdigen Umstand nicht ausreichend gewürdigt hatte. Sicherlich war mit ein Grund für seine diesbezügliche Blindheit, dachte er sich jetzt, dass er nicht immer dieses verzerrte Gesicht vom Ferdl hatte anschauen wollen, den er ja doch gemocht hatte. Aber der lebendige Ferdl, also der, den er gekannt hatte, hatte nie so verzerrt dreingeschaut wie dieser Ferdl, der da gelbgesichtig am Baum hing. Allmählich dämmerte ihm auch, dass es ein Riesenfehler gewesen war, den Fall nicht an die Kripo Miesbach weiterzuleiten. Ob die ihm, wenn das rauskäme, mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder irgendeinem anderen saudummen Verfahren den Beruf versauen würden? Zum soundsovielten Mal wurde es ihm im Beisein seiner neuen Mitarbeiterin ganz heiÃ.
»Hören Sie das auch?«, fragte Anne in die Stille hinein.
»Ach, das ist nur eine von diesen Hennen, die den ganzen Sommer im rosa Dirndlminirock durch unsere grünen Wiesen wandern wollen, aber nicht begreifen, dass die Wiesen unter anderem deshalb so grün sind, weil man hier auch odelt.«
»Nein«, sagte Anne, »das meine ich nicht. Es ist ein Geräusch hier im Zimmer. Als knurre ein Tier.«
Kastner und Nonnenmacher sahen Anne an. Kurz darauf lachte Kastner schallend los. »Ach so, das ist nur der Magen vom Kurt, haha! Der Kurt hat einen nervösen Magen, Frau Loop, hat er Ihnen das nicht gesagt? Der Kurt hat auch oft Durchfall deswegen â¦Â«
»Ja sag mal, bist du deppert?«, fuhr Nonnenmacher ihn an. Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Es roch nach StressschweiÃ. War das sein eigener? Oberpeinlich für ihn, diese Situation. Herrschaftszeiten! Wo würde das mit dieser Rheinländerin noch hinführen?
»Ja, dann übergeben Sie die Sache eben Ihrem Anwalt, Frau Doktor Eschwald«, drang es von unten herauf.
»So, und was fangen mir jetzt damit an, dass der Fichtner seinen Hosenträger durch den Schritt hindurchzogen hat, bevor er sich aufgehängt hat?«
Dass Kastner diese Frage eindeutig an Anne gerichtet hatte, war auch Nonnenmacher nicht entgangen. Von einem schleichenden Autoritätsverlust konnte nun nicht mehr gesprochen werden. Der Dienststellenleiter spürte, dass sich hier etwas manifestierte. Er musste diese forsche Person mit einbinden, sonst würde die hier die ganze Inspektion auf den Kopf stellen. Dann wärâs endgültig vorbei mit der viel gerühmten Liberalitas Bavariae bei der Tegernseer Polizei. Dann wärâ man ein ganz normaler Gâschaftlhuberverein, wie es ihn in vielen Städten gab. Aber Nonnenmacher hatte sich nun mal hierher versetzen lassen, weil man hier nicht so geschäftig tat, sondern mit Ruhe und Bedacht ermittelte.
»Haben Sie eine Theorie, Frau Kollegin?«, fragte er in dezidiert geschäftsmäÃigem Ton. Er musste wieder die Führung übernehmen, die Ermittlungen auf sichere Bahnen zurücklenken, egal wie. Schon wieder saà eine Fliege auf seinem Unterarm.
»Ich habe einmal von Strangulationen zur sexuellen Erregung gelesen.«
Kastner und Nonnenmacher starrten die neue Kollegin an, als hätte sie die beiden gerade gefragt, ob sie nicht nach dem Mittagessen kurz Gruppensex miteinander haben könnten.
»Was schauen Sie jetzt so? Der Mensch ist nun mal ein Wesen, das immerzu versucht, den Genuss zu steigern, auch beim Sex. Manche Menschen überschreiten dabei eben Grenzen, die sie besser nicht überschreiten sollten.«
Ob sie meine, dass der Fichtner da oben im Wald bei einem Sexspiel, also quasi aus Versehen, umgekommen sei, wollte Kastner nun wissen. Ehe Anne antworten konnte, stieà Nonnenmacher hervor, dass das der gröÃte Schmarren sei, den er je gehört
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