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Tegernseer Seilschaften

Tegernseer Seilschaften

Titel: Tegernseer Seilschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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Schultern. »Der Kaffee ist fertig. Bleiben Sie jetzt vielleicht doch noch hier? Wir können uns ja raus auf den Steg setzen. Die Sonne scheint so schön.«
    Â»Ich will mit«, forderte Lisa.
    Â»Aber nur, wenn du dir einen dicken Pulli, ein Halstuch, eine Mütze und warme Schuhe anziehst. Du musst doch wieder gesund werden!«
    Die Anwesenheit des Kindes hatte in Andi Fichtner etwas gelöst. Er machte nun keinerlei Anstalten mehr zu gehen, der Ton zwischen Anne und ihm war wieder freundlicher geworden. Und so gingen die drei nach draußen, um von dem kleinen Steg aus nach Rottach-Egern hinüberzuschauen.
    Â»Ich liebe den Blick zu der Kirche da drüben«, sagte Anne.
    Â»Das ist die Laurentius-Kirche. Auf den Friedhof müssen Sie mal gehen. Da liegen etliche berühmte Schriftsteller: der Ludwig Thoma, der Ganghofer, Alexander und Heinrich Spoerl, aber zum Beispiel auch der Josef Issels, das war ein Quacksalber, der hat sogar den Bob Marley behandelt.«
    Lisa hatte nur halb zugehört, jetzt deutete sie auf einen Raubvogel, der majestätisch über dem See kreiste, woraufhin Andi Fichtner ihr erklärte, dass es sich um einen Bussard handle.
    Â»Der sieht so …«, das Mädchen suchte nach dem passenden Wort, »… vornehm … aus.«
    Â»Ja, aber pass mal auf: Wenn ich dir sage, was der Gemeines im Schilde führt, dann gefällt er dir vielleicht nicht mehr so.«
    Â»Was meinst du?«, fragte Lisa.
    Â»Der Bussard ist ein schlauer Jäger. Der weiß ganz genau, dass jetzt im Frühling viele junge Vögel ihre ersten Flugversuche unternehmen. Und wenn er so ein unsicheres kleines Vögelchen irgendwo sieht, dann jagt er im Sturzflug auf es zu, packt es mit seinen Greiffüßen und frisst es auf. So ist das.«
    Am Abend war Bernhard immer noch nicht zurück und hatte auch nicht angerufen. Nachdem Anne ihre Tochter, der es schon viel besser ging, zu Bett gebracht hatte, dachte sie an ihren Freund. Bernhard würde sich doch nichts angetan haben? Hätte sie ihn bei ihrer Auseinandersetzung am Nachmittag ernster nehmen müssen? Sie ging in Bernhards Arbeitszimmer, fuhr den Computer hoch und klickte sich zur Homepage der Universitätsklinik München-Großhadern durch, um die Telefonnummer der onkologischen Abteilung herauszufinden. Vermutlich war Bernhard auf der Suche nach Hilfe dorthin gefahren. Doch Annes Anruf im Krankenhaus war vergebens, niemand wusste etwas von der Einlieferung eines Patienten namens Bernhard von Rothbach. Annes Gedanken überschlugen sich: Sollte sie Bernhards Eltern in ihrem Altersruhesitz in Spanien anrufen? Oder würde sie sie damit nur unnötig aufscheuchen? Helfen konnten sie ihr ohnehin nicht. War es ein Notfall? War Bernhard in Gefahr? Wo konnte er noch hingefahren sein, wenn er nicht in Großhadern war?
    Ich darf nicht dauernd an Bernhard denken, das bringt nichts. Ich muss etwas tun, was mich ablenkt, dachte Anne, ging hinüber ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Doch da kam nur Mist oder Katastrophenreportagen über die Weltwirtschaftskrise. Im Dachboden tobte der Marder. Nachdem Anne zweimal alle neunundzwanzig Programme durchgezappt hatte, machte sie wieder aus.
    Jetzt war es dunkel im Zimmer. Draußen leuchteten ein paar Punkte, auf dem See und am gegenüberliegenden Ufer. Die Bäume im Garten wiegten sich im Wind leicht hin und her. Anne geriet ins Grübeln. Eines war vermutlich sicher: Die Geldabflüsse von Fichtners Konto waren der Schlüssel zu seinem Tod. Was aber verbarg sich hinter diesem Geheimnis? Seine Frau war die Einzige, die davon gewusst hatte. Offensichtlich hatte sie mit den Söhnen nie darüber gesprochen. Oder hatten diese gelogen? Nein, sie hatten glaubwürdig gewirkt, geradezu desinteressiert, als Anne sie mit dieser Information konfrontiert hatte. Die Frau hingegen hatte einen Verdacht, glaubte an die Existenz einer Freundin. Doch Nonnenmacher, der Fichtner ja auch gut zu kennen schien, hatte dies für völlig abwegig gehalten. Und die Vermutung, dass Fichtner das ganze Geld ins Bordell getragen haben könnte, hatte er sogar als lachhaft bezeichnet. Fichtners Söhne hatten zwar etwas überreagiert, als Anne sie auf die Freundinnenhypothese angesprochen hatte, aber das musste nichts bedeuten. Dass die Söhne und der Vater gemeinsam in einem Bordell das Geld verprasst haben könnten oder der Vater allein, das erschien

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