Tegernseer Seilschaften
Geld habenâs auch keins mehr â die rennen uns nicht davon.«
Wieder zurück im Dienstzimmer, klingelte erneut Annes Handy. In der Hoffnung, es wäre noch einmal Bernhard, zog sie es aus der Tasche. Doch es zeigte eine Tegernseer Nummer an.
»Ja, Frau Loop, wo bleiben Sie denn?«, erklang am anderen Ende der Leitung eine aufgebrachte Frauenstimme. Annes Blick streifte die Uhr, die auf ihrem Schreibtisch stand, und siedend heià wurde ihr bewusst, dass sie schon wieder vergessen hatte, Lisa pünktlich vom Kindergarten abzuholen. Mit den Worten: »Bin gleich wieder da« huschte sie aus dem Raum und lieà einen erstaunten Sepp Kastner zurück.
Eine halbe Stunde später kam Anne mit Lisa und zwei halben gegrillten Hähnchen zurück.
»Magst du auch eins?«, fragte sie Kastner, bevor der Lisa mit einem seiner hilflosen Sprüche begrüÃen konnte. Kastner nahm das Angebot an, und während alle drei mit den Fingern die Hähnchen verzehrten, beschlich Anne groÃe Angst: Was, wenn der Anruf während des Verhörs von Bernhard gekommen war und er, aus welchem Grund auch immer, sie nicht noch einmal anrufen konnte? Was, wenn er doch krank war und im Sterben lag? Oder wenn ihn jemand entführt hatte? Im nächsten Augenblick wunderte sie sich über sich selbst: Wie konnte sie nur auf derart paranoide Gedanken kommen? Brannten bei ihr jetzt auch schon die Sicherungen durch? â Gut, sicher war der Anrufer Bernhard gewesen, aber der hatte schlimmstenfalls einen hypochondrischen Anfall. Er würde bestimmt wieder anrufen. Aber was, wenn er nur anrufen wollte, um ihr mitzuteilen, dass er sich von ihr trennen wolle? Sich von ihr trennen wegen einer Jüngeren â einer ohne Kind, dafür mit Geld?
»Was denkstân du so?«, unterbrach Sepp Kastner ihr Gedankengewitter.
»Ach nichts, nur, ob der Fall Fichtner vielleicht doch auch etwas mit dem Fall Kürschner zu tun hat.« Erst als Anne den Satz ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, was sie da unbewusst vor sich hingeredet hatte, um sich Sepp Kastners Fragen vom Leib zu halten. Na klar! Warum hatte sie daran nicht schon früher gedacht! Gehörte Ferdinand Fichtner ursprünglich nicht auch zu dem Stammtisch der drei, die sich »Die Kammerjäger« nannten? Hatte nicht auch Fichtner Geld verloren? Das war doch das Motiv, das ihnen die ganze Zeit gefehlt hatte!
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte Kastner und schob sich ein groÃes Stück Hähnchen in den Mund, um dann kauend fortzufahren: »Da würde man zumindest verstehen, warum er sich umgebracht hat. Jetzt, in der Wirtschaftskrise, wäre der Fichtner Ferdl nicht der Erste, der Selbstmord begeht, weil er sich verspekuliert hat.«
Als Pius Nagel die zwei Polizisten und das Mädchen auf seinen Hof zulaufen sah, hätte er sich am liebsten in der Tenne im Heu versteckt, wo die alte Katze gerade ihre getigerten Jungen abschleckte. Aber auch wenn er kurz mit diesem Gedanken gespielt hatte, war er dann doch stehen geblieben, es half ja nichts. Gott würde ihm in der andern Welt hoffentlich ein leichteres Leben geben, da musste er halt hier und jetzt den Kopf hinhalten.
»Grüà Gott«, sagte er abwartend und verkniff sich jegliche Bemerkung zu dem Mädchen, das anscheinend wie selbstverständlich die Polizisten begleitete. Vermutlich war es die Tochter dieser komischen Anne Loop.
»Herr Nagel«, eröffnete Kastner das Gespräch, »uns ist da noch etwas aufgefallen.«
Der Bauer, der inzwischen wieder seine blauen Stallkleider und einen fleckigen, einst hellbraunen Hut trug, sah ihn abweisend an, erwiderte aber nichts. »Sie haben ja gesagt, dass der Hörwangl und der Amend Ihnen geholfen haben, beim Grundnerhof einzubrechen. Aber gab es da vielleicht nicht auch noch einen vierten Kammerjäger?«
»Nein, da gab es keinen mehr«, log Nagel. »Für was denn auch?«
Anne spürte die in ihm aufkeimende Nervosität und setzte nach: »Seit wann hatten Sie denn eigentlich diesen Kammerjägerverein?«
»Ach, schon ewig«, antwortete Nagel mit gespielter Gelassenheit. »Aber das war ja auch bloà so eine Idee, ein Hirngespinst. Dass man sich sein Geld selbst zurückholen kann, gell. So ist die Welt natürlich nicht. Gerechter wärâs zwar, aber â¦Â«, er zögerte einen Augenblick, »Gerechtigkeit gibtâs nicht.« Dann
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