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Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Titel: Tempel der Träume - Der Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marthens
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Lastkraftwagen auf der A9 Richtung Nürnberg, wo sie für eine Ausstellung Materialien abzuliefern hatte.
    „Das wäre besser“, erwiderte Dieter, „solange nicht alles in Sack und Tüten ist, möchte ich nicht, dass deine Frau davon erfährt. Die würde nur wieder mit Myrtel sprechen.“
    „Klar, alles klar. Und was macht Myrtel nun?“
    Just in diesem Moment, in dem Karlo diese Frage stellte, wählte Myrtel in ihrer Wohnung die Handynummer ihres Mannes. Nur einen Augenblick später klingelte es in Falkensee in Dieters Hosentasche.
    „Shit, das ist sie“, sagte er und nahm das Telefon in die Hand.
    „Wo steckst du?“, fragte Myrtel und hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. „Ich muss mit dir reden.“
    „Ich bin bei Karlo“, erwiderte Dieter und sah bedeutungsvoll zu seinem Freund, der sich dezent auf den Weg in die Küche machte, um ein weiteres Bier zu öffnen.
    „Bitte komm jetzt nach Hause“, sagte Myrtel und unterdrückte nur mit Mühe das Zittern ihrer Stimme. „Wir müssen uns unterhalten. Ich war gerade bei Doktor Loträger.“
    Dieter räusperte sich und sah hilfesuchend zur Tür, ob dort vielleicht Karlo stand, der ihm zur Seite stehen könnte, doch der war noch immer mit dem Bier beschäftigt. Außerdem hatte der Mann keine Lust, sich in die prekären Angelegenheiten seines Kumpels zu mischen.
    „Ich denke nicht“, erwiderte Dieter zaghaft. „Ich hatte dir doch schon mal neulich gesagt, dass es so nicht mehr geht. Ich will ausziehen, Myrtel.“ Den letzten Satz sagte er so schnell wie möglich, um ihn rasch hinter sich zu bringen.
    „Was sagst du?“, fragte Myrtel, obwohl sie die Worte ihres Mannes genau verstanden hatte. „Das darfst du nicht. Ich brauch dich doch jetzt. Der Krebs ist zurück, das kann ich nicht alleine durchstehen.“
    Dieter räusperte sich erneut.
    Myrtels Hand zitterte, während sie auf die Antwort ihres Mannes wartete. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Unaufhaltsam bahnten sich Tränen ihren Weg auf ihren Wangen nach unten.
    „Es tut mir leid“, flüsterte Dieter, „aber ich kann das nicht. Nicht noch einmal. Es kostet mich zu viel Kraft, zu viele Nerven. Es tut mir leid.“
    Myrtel schnappte nach Luft. „Das tut dir leid? Was denkst du denn, wie viel Kraft es mich gekostet hat? Das war die Hölle, und die steh ich nicht ohne dich durch. Ich brauche jemanden an meiner Seite. Dieter! Bitte!“ Sie schluchzte jetzt. Sie konnte es nicht verhindern, ihre Kehle gab einfach nach und ließ den Laut nach außen.
    Er schwieg lange.
    „Dieter?“, fragte sie panisch, weil sie dachte, dass er vielleicht aufgelegt oder jemand die Leitung unterbrochen hätte.
    „Ich wünsche dir alles Gute“, flüsterte er. Dann legte er wirklich auf.
    „Dieter!“, rief sie in den Hörer. „Dieter! Nein!“ Sie drückte die Wahlwiederholungstaste, um ihn erneut zu sprechen, doch nur die Automatenstimme seiner Mailbox ertönte. Er hatte das Handy ausgeschaltet.
    In ihrer Not wählte sie Karlos Nummer, der auch tatsächlich ans Telefon ging.
    „Er will nicht mit dir sprechen“, sagte der Mann bedrückt. „Es tut mir leid.“
    Myrtel spürte, wie sie nun komplett die Beherrschung verlor. Ihr Herz raste, ihr kranker Körper schien von den hektischen Schlägen zu vibrieren. „Es tut dir leid, es tut ihm leid. Es tut euch allen leid“, schrie sie, während die Tränen unaufhaltsam über ihr Gesicht liefen. „Mir tut es leid, dass ich krank und euch lästig bin. Sag dem feigen Arschloch, wenn er heute nicht nach Hause kommt, dass ich seine Sachen der Caritas spende. Dann will ich ihn nie wiedersehen!“
    Sie hätte das Telefon am liebsten gegen die Wand geworfen, besann ich aber. Es war teuer gewesen, und ein neues konnte sie sich nicht leisten.
    Schluchzend ließ sie sich in den Sessel fallen, der ihr am nächsten stand, und schaltete das Handy aus. Und so langsam drang in ihr Bewusstsein, dass sie die nächsten qualvollen Wochen möglicherweise alleine durchstehen musste. Niemand würde ihr helfen, wenn sie ihre Kräfte einbüßte und kaum noch alleine zur Toilette gehen konnte. Niemand würde ihr zur Seite stehen, wenn sie ihre Haare verlor, ihre Figur und einen Teil ihrer Organe. Niemand würde ihre Hand halten, über ihre Wange streichen oder ihr Mut zusprechen. Sie war ganz allein.
    Als ihr das bewusst wurde, hätte sie am liebsten hemmungslos geweint, geschrien, sich betrunken und die Welt verflucht. Doch sie konnte nicht. Mit bebenden Fingern wischte sie ihre Tränen weg und

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