Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
aus so schön, dass Make-up sie eigentlich nur verschandeln konnte. Ihren perfekten, schlanken Körper hatte sie in ein lässiges Shirt und einen langen Rock gehüllt. Sie sah aus wie eine Fee, wenn der Wind ihren Rock bauschte und das samtige, schwarze Haar zerwühlte.
Samira trat auf die Plattform und sah sich um. Und da sah sie, worauf die Freundinnen die ganze Zeit angespielt hatten. Auf dem benachbarten Berg prangte in riesigen weißen Lettern das Wort „HOLLYWOOD“.
Sie hatte es schon kürzlich von unten gesehen, von einem Boulevard in der Stadt aus, und war beeindruckt gewesen. Sie war sich vorgekommen wie in einem Film und hatte gleich ein Foto gemacht und an ihre Familie geschickt. Als Zeichen, dass es ihr gut ging. Doch von hier oben wirkte der Schriftzug noch mächtiger.
„Jeder Buchstabe ist etwa fünfzehn Meter hoch, zusammen ist das Wort über hundert Meter lang“, erklärte Amy. „Leider kann man nicht mehr direkt zu der Konstruktion gehen, weil in der Vergangenheit zu viel Schindluder damit getrieben wurde. Aber es ist ja auch so sehr schön und wirkt nicht weniger beeindruckend, wenn man es aus der Entfernung sieht.“
„Eine Schauspielerin hat sich mal vom H heruntergestürzt, weil sie nur Absagen von Filmproduktionsfirmen bekommen hat“, erzählte Jeannie. „Sie wurde ein paar Tage später in einem Kaktus gefunden.“
„Da wusste sie noch nicht, dass sie gerade für eine Hauptrolle ausgesucht worden war“, ergänzte Amy.
„Wie tragisch!“ Samira genoss den Blick auf das Wahrzeichen Hollywoods, trotz der traurigen Geschichte, die es umrankte.
„Es ist eines der bekanntesten Zeichen der Welt. Als der Papst vor Jahren in L.A. war, wurde es kurzzeitig in HOLYWOOD umgewandelt“, vollendete Amy die Führung.
„Cool“, sagte Samira, bevor sie sich abwandte und noch einen Blick auf die Stadt zu ihren Füßen warf. „Aber kommen wir nicht zu spät, wenn wir hier zu lange Sightseeing machen?“
„Sieh mal einer an“, lachte Amy. „Da ist sie gerade mal ein paar Tage in der Stadt und kann es nicht erwarten, zu einer Party zu kommen.“
„Ich bin total ausgehungert, was Partys betrifft!“, rechtfertigte sich Samira.
„Na dann, komm. Wir fahren. Das Haus liegt nicht weit von hier. Du wirst Augen machen!“ Amy nahm Samira beim Ellbogen und führte sie zurück zum Auto.
„Was meinst du?“
„Lass dich überraschen!“
VI
Missgestimmt sah Myrtel auf ihre Armbanduhr. Etwas von ihrer Vorfreude, mit der sie den verabredeten Treff aufgesucht hatte, verflog und wandelte sich in Unsicherheit. Der Mann würde es doch nicht etwa wagen, sie zu versetzen!? Das Herzklopfen und die Spannung, mit denen sie die vergangenen Stunden der Vorbereitung verbracht hatte, wichen und machten den unsinnigsten Gedanken Platz: Er hatte es sich anders überlegt. Er hatte es von Anfang an nicht ernst gemeint. Er traf sich statt mit ihr mit einer Jüngeren, Attraktiveren.
Myrtel sah zum Himmel hinauf, der trübe und mit grauen Wolken verhangen einen leichten Nieselregen über Berlin ausschüttete. Auch das noch! Die Wartende öffnete einen Schirm, den sie glücklicherweise eingesteckt hatte. Bereits Stunden vor dem Date hatte sie begonnen, sich in Schale zu werfen, dem Gesicht vor dem Schminken noch ein Peeling verpasst und die einzelnen Strähnen ihrer Frisur kunstvoll arrangiert und mit viel Haarspray fixiert. Sie war in das nagelneue Designer-Kostüm und die hochhackigen Pumps geschlüpft, nicht ohne alle paar Minuten in den Spiegel zu schauen, um sich zu bestätigen, dass sie gut aussah. Und nun begann es zu regnen, und ihre Frisur nahm Schaden! Ganz zu schweigen von ihrem Make-up. Sie konnte nur hoffen, dass der Mascara keine schwarzen Spuren auf ihren Wangen hinterließ.
Unruhig sah sie sich um. Die Straße war fast menschenleer, nur vereinzelt raste ein Auto an ihr vorbei.
An der verabredeten Uhrzeit fehlten noch drei Minuten.
Vielleicht hatte er es sich wirklich anders überlegt? „Mister Lonely Heart“, wie das Pseudonym des Robert-Redford-Verschnitts bei der Online-Datingplattform hieß, hatte auf ihre Kontaktanfrage umgehend geantwortet. Er schien wider Erwarten sehr interessiert gewesen, sie kennenzulernen, drängte auf ein baldiges Treffen. Ihr war das nur recht, und so war eine Verabredung sofort zustande gekommen. Doch nun ließ er sich Zeit. Sie sah erneut auf die Uhr. Noch zweieinhalb Minuten bis zum verabredeten Zeitpunkt. Müsste er nicht früher da sein, weil er es
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