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Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)

Titel: Tempel der Träume - Der Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marthens
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kaum erwarten konnte, sie zu treffen?
    Myrtel jedenfalls fühlte sich seit dem Nachmittag wie auf Kohlen. Vor Aufregung war sie viel zu früh losgelaufen und nun bereits seit einer gefühlten Ewigkeit am Treffpunkt.
    Sie fröstelte. Langsam begann die Feuchtigkeit durch die dünnen Sohlen ihrer neuen Schuhe zu dringen. Aufkommende Windböen zupften an ihrem sorgfältig frisierten Haar und bliesen ihr einen Schleier aus winzigen Tröpfchen ins Gesicht, was dem Make-up mit Sicherheit nicht zuträglich war. Sie vermied es, sich den Regen aus dem Gesicht zu wischen, um nicht noch mehr Schaden anzurichten. Doch wenn das so weiterging, würde sie in kürzester Zeit wie eine Krähe aussehen – mit zerrupfter Frisur und verlaufender Schminke. Und die Schuhe konnte sie auch wegwerfen.
    ‚Ich gebe ihm noch eine Minute‘, beschloss Myrtel, zwischen Resignation und aufsteigendem Zorn schwankend. Als zwei vorüber waren, zog sie den dünnen Mantel enger um die Schultern, machte ruckartig auf dem Absatz kehrt, um zum Bus zu laufen, und prallte dabei mit einer Person zusammen, die unbemerkt hinter sie getreten sein musste. Auf die Sekunde pünktlich.
    „Hallo, schöne Fremde! Nicht ganz so stürmisch!“
    Erschrocken über die unerwartete Anwesenheit eines Menschen wich Myrtel einen Schritt zurück und stolperte.
    Rasch griffen zwei kräftige Hände nach ihren Armen, damit sie nicht rücklings aufs Pflaster stürzte.
    „Hoppla, Lady! Ich bin es nur, Ihre Verabredung! Sie erinnern sich? Da müssen Sie weder erschrecken noch gleich weglaufen! Oder sehe ich so furchteinflößend aus? Das war mir gar nicht bewusst.“
    Es war eine markante Stimme, die diese liebevoll-spöttischen Worte hervorstieß, und sie gehörte zu dem Mann aus dem Dating-Portal, den Myrtel erwartet hatte. Jedenfalls wies der Fremde eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm auf.
    Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte, konnte Myrtel nicht anders. Statt ihn für seine angebliche Verspätung zu rügen, brach sie in ein heiteres Lachen aus.
    „Ich dachte schon, Sie sind von der Heilsarmee und lesen gestrandete Damen auf, bevor die sich etwas antun, weil sie vergeblich auf ihren Kavalier gewartet haben“, nahm sie seinen scherzenden Ton auf.
    Er besaß wirklich eine angenehme Stimme und männlich-kräftige Arme, das musste man ihm lassen. Aber ein zweiter Blick auf ihn löste in Myrtel eine winzige Enttäuschung aus.
    Nein, ein Robert Redford war der Mann, der sie gepackt hatte, nicht. Wahrscheinlich hätte er selbst in seinen besten Zeiten nicht einmal als dessen Double eine Chance gehabt. Sein Haar war schütterer als beim Vorbild, die Nase größer und die Augen kleiner. Außerdem besaß er an den falschen Stellen ein paar Fettansätze, die Robert Redford bei sich niemals geduldet hätte. Trotzdem war ihr Gegenüber nicht ganz unattraktiv. Zumindest fand sie ihn sympathisch. Nicht nur, weil er seinem Bild im Dating-Portal genauso wenig glich, wie sie dem ihren. Sein Haar, das feucht geworden am Kopf klebte, trug er kürzer geschnitten als erwartet, es war mittelblond und etwas strubblig, die Augen strahlten in einem sanften Blau. Der Mund schmal, das Kinn knochig. Lachfältchen durchzogen Stirn und Wangen. Auch er musste bei seinem Alter ein wenig geschummelt haben, aber das störte Myrtel nicht. Allerdings war er gerade mittelgroß und überragte sie nur um wenige Zentimeter. Unter dem dunklen Mantel zeichnete sich ein leichter bis mittelschwerer Bauchansatz ab. Soweit zu „Attraktive Partner mit Niveau“, dem Slogan des Portals, dachte Myrtel amüsiert.
    „Also, wohin entführen Sie mich ‚Mister Lonely Heart‘?“, sprach sie ihn, ihre verstohlene Musterung beendend, mit seinem Usernamen an.
    „Nur ein paar Schritte weiter. In der Seitenstraße dort drüben befindet sich ein gemütliches, kleines Lokal, das ich sehr mag. Wenn ich gewusst hätte, dass der Himmel weint – hoffentlich nicht wegen uns beiden, meine Schöne – hätte ich Sie gleich dorthin gebeten“, sagte er in gespielter Reue und ließ ihre Arme los. „Kommen Sie, ‚Fesche Lola‘. Eigentlich habe ich mich für heute Abend auf Drillinge eingestellt. Sind Sie nun Lola1, 2 oder 3?“
    Galant nahm er Myrtel den Schirm aus der Hand, hakte sie unter und steuerte mit ihr auf die Nebenstraße zu.
     
    Myrtel nippte an dem ausgezeichneten Rotwein, den Paul bestellt hatte, und lächelte versunken. Obwohl der Name zu ihm passte, bezweifelte sie, dass ihr Date tatsächlich so hieß. Aber

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