Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
möchte Ihnen gern beweisen, dass ich gute Arbeit leiste.“
Myrtel schielte zu dem Mann auf der Liege, der entspannt die Augen geschlossen hatte und die Wärme der Anwendung genoss. „Ich hätte mich zwar jetzt um ihn gekümmert, aber es sieht so aus, als ob Sie mir zuvorgekommen wären und dabei alles richtig und gut gemacht hätten.“
Kiara atmete auf und wollte noch etwas erwidern, doch in diesem Moment machte ihre Chefin bereits auf dem Absatz kehrt und lief davon.
Kiara wandte sich nun endlich der ihr übertragenen Aufgabe zu und ging zum Behandlungsraum 1. Sie hatte zwar gesagt, sie sei hier, um den Patienten zu helfen. Aber das war nicht die ganze Wahrheit. Sie war hier, um einen Vergewaltiger zu finden. Dafür musste sie so schnell wie möglich alle männlichen Mitarbeiter und Kunden kennenlernen.
VI
Die üblichen freundlichen Begrüßungsworte blieben der weißbekittelten Dame am Empfang im Halse stecken, als sie den eintretenden Patienten erkannte. Wer sie genauer ansah, bemerkte sogar, dass sie unter ihrem dezenten Makeup blass wurde. Gerade noch konnte sie eine abwehrende Geste vermeiden.
Nicht der schon wieder! Und ausgerechnet heute, schoss es ihr durch den Kopf.
In Gedanken schlug die hübsche Schwester, die sich neben dem Empfang vor allem der Betreuung der zahlreichen Privatpatienten widmete, die Hände über dem Kopf zusammen.
„Guten Tag, Schwester Ilona, Sie sehen blendend aus wie immer“, vernahm sie eine liebenswürdige Stimme, die gewollt charmant klang, dann jedoch sofort in den ihr hinlänglich bekannten, wehleidigen Ton verfiel. „Der Doc muss mir helfen. Sofort! Mich hat es schlimm erwischt. Im Rücken. Ich kann kaum noch einen Schritt ohne Schmerzen tun. Habe mich mit letzter Kraft hierher in Ihre Praxis geschleppt. Ich brauche eine Spritze und ein Rezept für eine Massage-Therapie. Ich warte wie üblich gleich vor der Sprechzimmertür. Danke!“
Sie hatte es gewusst. Der Neuankömmling benahm sich wie eine Dampfwalze, das war nicht neu, das kannte sie schon. Was sollte sie gegen dessen anmaßende Selbstverständlichkeit unternehmen? Der Mann war ein Privatpatient, aber das waren die meisten Patienten des niedergelassenen Orthopäden im Westend. Und heute ging wirklich nichts mehr. Gar nichts. Punkt achtzehn Uhr würde der Doktor die Praxis verlassen. Doch ihre Aufgabe war es, dass keiner der Bestellten unbehandelt nach Hause geschickt werden musste, das erwartete der Chef von ihr.
Schwester Ilona raufte sich symbolisch das lange Blondhaar, das sie zu einem flotten Pferdeschwanz gebunden trug. Da half wohl nur eines: unerbittlich bleiben. Hoffentlich gelang es ihr.
„Das Wartezimmer ist voll und Doktor Clausen muss heute unbedingt pünktlich die Sprechstunde beenden. Ich kann niemanden mehr annehmen und rate Ihnen, die Orthopädische Abteilung im Ärztehaus oder die Notaufnahme des Elisabeth-Krankenhauses aufzusuchen. Tut mir wahnsinnig leid, aber Sie müssen das verstehen.“
Schwester Ilona setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf, das die Härte ihrer Worte mildern sollte. Doch, wie sie es befürchtet hatte, geriet sie bei diesem Patienten damit an den Falschen.
„Das ist nicht Ihr Ernst“, begann der sich sofort zu empören, „jeder Arzt hat den Eid des Hippokrates geleistet. Er darf einen schmerzgeplagten Menschen wie mich nicht einfach abweisen, ohne ihm Linderung verschafft zu haben! Was meinen Sie, wenn sich das herumspricht? Das letzte Mal ist mir so etwas bei Doktor Griss in Charlottenburg passiert. Er hat ein Jahr später seine Praxis in Berlin aufgeben müssen und ist mit Sack und Pack nach Mallorca gezogen. Aber in keine Villa, sage ich Ihnen. In ein Armenviertel.“
Der große Mann humpelte einen Schritt auf die zierliche Schwester zu, die ihm kaum bis an den gewaltigen Brustkorb reichte.
„Das Krankenhaus kann ebenfalls nicht Ihr Ernst sein. Einmal war ich dort. Nie wieder! Nur Wald- und Wiesenärzte. Denen kann ich meine kostbare Gesundheit doch nicht anvertrauen!“, protestierte er. „Und der Orthopäde im Ärztehaus ist noch überlaufener als diese Praxis. Wenn Sie wüssten, wer sich dort alles behandeln lässt, einfach unmöglich!“
Die Schwester starrte ihn wortlos an. Ihr fehlten einfach die Argumente.
„Gut, dann hätten wir das jetzt geklärt und ich setze mich ins Wartezimmer“, lenkte Felix nach Minuten des Schweigens mit ersterbender Stimme ein, als ob er ihr damit einen großen Gefallen tun würde. „Es hält sich dort
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