Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
hoffentlich niemand mit einer ansteckenden Krankheit auf?“, schickte er sofort misstrauisch hinterher.
Die blonde Schwester gab es auf. Dieser Felix Altmühl war wie eine der sieben Plagen Ägyptens: unberechenbar, unerbittlich und ungeheuer hartnäckig.
„Ich werde sehen, was sich machen lässt, aber es kann ein bisschen dauern“, versprach sie, resigniert seine umfangreiche Krankenakte aus der Kartei heraussuchend.
Mit einer großen Geste wandte sich Felix Altmühl der Tür zum Wartezimmer zu.
„Auf Ihre Verantwortung, Schwester Ilona.“
Bevor sie aufatmen konnte, drehte er sich nochmals um. „Vergessen Sie nicht, Doktor Clausen zu sagen, dass ich da bin. Die Reihenfolge der zu behandelnden Patienten bestimmt der Arzt. So steht es jedenfalls hier.“ Er wies auf das Schildchen auf den Tresen des Empfangs.
Bevor die verblüffte Schwester antworten konnte, war er aus ihrem Gesichtskreis verschwunden.
Zu Felix‘ Ärgernis saß ein Dutzend Patienten im Wartezimmer. Kein einziger Stuhl schien mehr frei. Er würde doch nicht etwa stehen müssen? Das war unzumutbar.
Unwillig ließ der Restaurator den Blick in dem kleinen Raum umherschweifen. Ein einziger Platz zwischen zwei dicken, älteren Frauen war unbesetzt.
Er zögerte, sich zwischen die dreieinhalb Zentner Schwabbelfleisch zu quetschen.
Jetzt begann eine der beiden auch noch ausdauernd zu husten, worauf die andere mit einem doppelten Niesen reagierte.
Felix sah die Bataillone ihrer Bazillen durch die Luft regelrecht auf sich zustürmen und wich einen Schritt zurück.
„Haben Sie was mit den Augen oder können Sie nicht lesen, meine Damen?“, nörgelte er, „der Mediziner für Grippe-Epidemien und andere Seuchen sitzt eine Etage tiefer, der Augenarzt gleich nebenan. Hier praktiziert ein O r t h o p ä d e!“
Statt ihren Irrtum einzusehen und die Praxis zu verlassen, sahen ihn die Frauen kopfschüttelnd an. Eine vertiefte sich erneut in ihre Illustrierte, die andere zog ein Taschentuch hervor und schnaubte herzhaft hinein.
Während Felix Fluchtgedanken erwog, von denen ihn nur das schmerzhafte Stechen im Rücken abhielt, wurde der nächste Patient ins Sprechzimmer gerufen. Dessen Platz am anderen Ende des Raumes wurde frei. Rechts daneben saß ein junger Mann mit dick bandagiertem Fuß und Krücken, links eine Frau mit einem Kind auf dem Schoß, das einen Elastikverband um den Arm trug. Die beiden schienen Felix weniger bedrohlich als die verseuchten Frauen.
Bevor er sich jedoch stöhnend auf dem Stuhl niederließ, zog er sich wie ein Bankräuber vor dem Überfall den Seidenschal vor Mund und Nase. Man konnte ja nie wissen...
„Herr Altmühl, woran hapert es denn diesmal?“, begrüßte Doktor Clausen den letzten Patienten seiner heutigen Sprechstunde. Eigentlich war er auf dem Sprung, die Praxis zu verlassen, aber dem flehenden Blick in den Augen seiner Angestellten hatte er nicht widerstehen können. Wenn selbst die resolute Schwester Ilona am Verzweifeln war, wollte das schon etwas heißen. Also, in Gottes Namen...
„Ach wissen Sie, Herr Doktor, ich glaube, es ist ein ausgewachsener Hexenschuss. Ich habe in einer alten, zugigen Kirche ein Bild zu restaurieren...“
Allerhöchstens zehn Minuten gebe ich ihm, dachte der Orthopäde mit knurrendem Magen, während er gedanklich bereits bei seiner Frau weilte, die ihn zu ihrer Geburtstagsparty mit Freunden im „Adlon-Kempinsky“ zu einem Fünf-Gänge-Menü erwartete.
„...damit ich möglichst schnell wieder fit bin. Ohne mich kommen meine Gesellen einfach nicht klar. Und der Auftrag ist sehr wichtig für mich. Ein handelt sich um ein einmaliges Kunstwerk, Sie sollten es sich wirklich einmal ansehen“, übertrieb der Restaurator maßlos und sah sein Gegenüber zustimmungsheischend an.
Clausen nickte, obwohl kaum etwas von dem Geschwafel des Patienten sein Ohr erreicht hatte.
„Machen Sie den Rücken frei und legen Sie sich bitte bäuchlings auf die Liege.“
„Ohhh, ahhh...“ Unter Schnaufen und Stöhnen kam Felix der Anweisung des Orthopäden nach. Der tastete den Rücken des Mannes bis zur Hüfte ab. „Tut es hier weh? Oder mehr hier?“
„Überall, Herr Doktor, überall!“, klagte der wehleidig.
„Ich merke schon. Die Muskulatur ist völlig verspannt, der Nervenstrang wird dadurch eingeklemmt. – Also erst einmal erhalten Sie eine Spritze gegen die schlimmsten Schmerzen.“ Er deutete Schwester Ilona, die das Licht im Warteraum gelöscht hatte und abwartend mit
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