Tempelhyänen
ihm. Er widersprach nicht, obwohl ich bestimmt einen Haufen Vorschriften verletzte, als ich um den Tresen herumging.
»Sie denken sicher, daß die Exemplare da draußen jede Nachfrage abdecken, oder? Aber mindestens einmal pro Woche taucht einer auf, dessen Münzen nicht ausgestellt sind. Normalerweise handelt es sich um eine neue Prägung von außerhalb der Stadt, die ich noch nicht unter meinen Belegexemplaren habe. Für die anderen haben wir Unterlagen, die jede Prägung dokumentieren, seit das Kaiserreich den Karentinischen Taler übernommen hat.«
Jede Feindseligkeit erlischt, wenn man jemanden auf sein Lieblingsthema bringt.
»Ich bin schon so lange dabei, daß normalerweise ein Blick reicht. Dann kann ich Ihnen sagen, was Sie wissen wollen. Es ist schon über fünf Jahre her, daß ich etwas nachsehen mußte.«
Es war also die Herausforderung, die ihn reizte. Ich brachte Leben in die Bude.
Wir betraten einen Raum, der bestimmt sieben Meter tief war. An beiden Längswänden standen Schränke bis in Brusthöhe. Ihre Schubladen waren ungefähr zwei Zentimeter hoch. Ich nahm an, daß darin ältere oder weniger verbreitete Muster aufbewahrt wurden. Über den Schränken waren Buchregale. Sie reichten bis zu der drei Meter hohen Decke. Auf ihnen standen die größten Bücher, die ich jemals gesehen hatte. Jedes war ungefähr vierzig Zentimeter hoch .und fünfzehn Zentimeter dick. Alle waren in braunes Leder eingebunden und hatten eine Aufschrift in Goldprägung.
Die Rückwand war, bis auf eine Aussparung für eine andere Tür, mit Regalen bedeckt, auf denen die Werkzeuge und Chemikalien standen, die ein Metallurge braucht. Ich hatte keine Ahnung gehabt, daß so viel zu diesem Beruf benötigt wurde.
»Wir sollten wohl am besten mit dem Einfachsten anfangen und uns langsam zum Obskuren vortasten«, schlug der Alte vor. Er holte ein Buch mit dem Titel Karentinische Taler Standard Prägungen: Gewöhnliche Riffelungsmuster: TunFaire Typ I, II, III.
»Ich bin beeindruckt. Hätte nicht erwartet, daß man soviel wissen muß.«
»Der karentinische Taler hat eine fünfhundertjährige Geschichte, angefangen als Handelsbundmünze, als Stadtwährung, dann als imperiale Währung und jetzt als die königliche Währung. Und es war von Anfang an jedem erlaubt, seine eigenen Münzen zu prägen, weil sie als private Währung begonnen hatte, was ihren Wert garantieren sollte.«
»Warum fangen Sie nicht mit meinen Münzen an?«
»Weil sie uns nicht viel verraten.« Er deutete auf ein glänzendes silbernes Fünf-Taler-Stück. »Hier zum Beispiel. Das ist eine von tausend Münzen, die an die karentinischen Siege während des Sommerfeldzuges erinnern sollen. Auf der Vorderseite haben wir eine Büste des Königs. Darunter steht ein Datum. Darüber steht eine Inschrift, die uns den Namen und die Titel des Königs verrät. Am Fuß der Büste haben wir ein Zeichen, das uns sagt, wer diese Münze entworfen und den Stahlstich für den Prägestock graviert hat. In dem Fall hier Claddio Winsch. Hier, hinter der Büste, haben wir Weintrauben, das Stadtzeichen von TunFaire.«
Er legte meine Goldmünze neben das Fünf-Taler-Stück. »Statt einer Büste haben wir einige Schnörkel, die eine Spinne oder einen Tintenfisch darstellen könnten. Es gibt ein Datum, aber da es sich hier um eine Tempelprägung handelt, wissen wir nicht, worauf es sich bezieht. Es gibt keinerlei Entwurfs- oder Gravurzeichen. An Stelle des Stadtzeichens befindet sich eine Markierung, an der der Tempel offenbar erkennen kann, wo die Münze geschlagen wurde. Die Inschrift am Kopf der Münze ist nicht in karentinisch, sondern in Faharhan gehalten. Sie bedeutet: ›Und seine Herrschaft wird kommen im Triumph.‹«
»Wessen Herrschaft?«
»Das steht da nicht«, erwiderte der alte Mann achselzuckend. »Tempelprägungen sind nur für die Gläubigen gedacht. Und die wissen schon, wer.« Er stellte die Münzen auf den Rand. »TunFaire Typ III Riffelung auf dem Fünf-Taler-Stück. Sie wird seit der Jahrhundertwende von der königlichen Münze benutzt. Und Typ I auf dem Goldstück. Typ I bedeutet, daß die Münzen geprägt wurden, bevor die Zeichenstandards festgelegt wurden. Eine Prägeausrüstung ist teuer. Die Währungsgesetze genehmigen den Münzern, ihre Ausrüstung zu benutzen, bis sie unbrauchbar geworden ist. Es tauchen immer wieder noch Münzen aus alten Prägestempeln auf.«
Ich war fasziniert, aber ich kam auch langsam ins Schwimmen. »Warum wird die Stadtwährung
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