Temptation: Weil du mich verführst
erschrocken an, doch Francesca machte keine Anstalten, ihrem Blick auszuweichen. »Ich weiß es wirklich nicht, Francesca. Es tut mir leid. Es gibt einen winzigen Teil in Ians Leben, den er eisern für sich behält. Nicht einmal mir gewährt er Einblick, obwohl ich sonst all seine Eigenheiten und Gewohnheiten kenne.«
Francesca tätschelte ihr den Arm. »Schon gut, ich verstehe das«, sagte sie.
Und das stimmte auch. Wenn Mrs Hanson nicht wusste, wo Ian sich aufhielt, konnte das nur eines bedeuten:
Er war nach London geflogen – an jenen Ort, wo sich irgendein Geheimnis verbarg und zu dem er weder Jacob noch Mrs Hanson Zugang gewährte. Und Francesca schon gar nicht. Diese Dr. Epstein hingegen … Sie wusste über diesen Teil von Ians Leben ganz bestimmt Bescheid. Ians angespannte Stimme vorhin wollte ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen, ebenso wenig wie der verlorene Ausdruck auf seinen Zügen in der Pariser Hotellobby.
Die Frau war also Ärztin? Was, wenn es Ian nicht gut ging? Nein, ausgeschlossen. Er strotzte vor Vitalität und Gesundheit, daran bestand kein Zweifel – nicht nur, weil er kerngesund aussah, sondern auch, weil er ihr erst kürzlich die Resultate seiner jüngsten Untersuchung gezeigt hatte, um ihr zu beweisen, dass er unter keiner ansteckenden Krankheit litt.
»Kennen Sie Dr. Epstein gut?«, hakte Francesca nach.
»Nein. Ich habe sie nur ein- oder zweimal kurz gesehen, als sie hier zu Besuch war. Ich hatte den Eindruck, dass sie irgendwo in London praktiziert, aber jetzt, wo Sie mich fragen, fällt mir auf, dass ich keine Ahnung habe, auf welchem Fachgebiet sie tätig ist. Francesca? Ist alles in Ordnung?«, fragte Mrs Hanson besorgt.
»Ja, ja, alles in Ordnung«, antwortete sie, drückte den Arm der Haushälterin und verließ die Küche. »Es könnte nur sein, dass ich auch ein paar Tage verreisen muss.« Wie viel kostete wohl ein Ticket nach London?
KAPITEL 15
Davie bot ihr an, sie nach London zu begleiten, doch Francesca lehnte rundweg ab – sie hatte sich bewusst vage gehalten und ihm erzählt, sie hätte von Mrs Hanson erfahren, dass Ian nach London gereist sei, um ein Problem innerhalb der Familie zu lösen, und sie hätte beschlossen, hinzufliegen und ihm ihre Unterstützung anzubieten.
In Wahrheit wollte sie verhindern, dass Davie etwas von ihrem völlig schwachsinnigen Plan erfuhr – dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was sie tun sollte, wenn sie in Heathrow aus dem Flugzeug stieg. Sie wusste nur eines: Was auch immer Ian nach London führte, lastete schwer auf seiner Seele, weshalb er den Entschluss gefasst hatte, den anderen Menschen in seinem Leben diesen Kummer zu ersparen.
Fest stand auch, dass er außer sich vor Wut wäre, wenn er merkte, dass sie ihn, wenn auch rein zufällig, aufgestöbert hatte. Trotzdem war die Vorstellung, dass er all das allein durchmachen musste, unerträglich. Außerdem war sie mittlerweile davon überzeugt, dass diese »Notfälle« in unmittelbarem Zusammenhang mit den Dämonen seiner Kindheit standen.
Und sollte das, was sie in London sehen würde, zerstören, was auch immer zwischen ihnen im Entstehen begriffen sein mochte – war es dann nicht besser, es gleich herauszufinden, statt das Unvermeidliche unnötig hinauszuzögern?
Sie stellte fest, dass Ian sie während des Fluges nach Heathrow angerufen hatte. Genau darauf hatte sie gehofft, da sie nach wie vor nicht die leiseste Ahnung hatte, wie ihre nächsten Schritte aussehen sollten, doch als sie zurückrief, schaltete sich lediglich seine Voicemail ein.
Mutlos holte sie ihr Gepäck, tauschte Geld und schlenderte durch die Flughafenhallen in der Hoffnung auf eine Eingebung, wo Ian sich aufhalten könnte. Schließlich gab sie es auf, stieg in ein Taxi und nannte dem Fahrer eine Adresse – das einzige Bindeglied zwischen Ian und seinen Notfalltrips nach London.
»Zum Genomics Research and Treatment Institute«, sagte sie.
Vierzig Minuten später fuhr das Taxi vor dem ultramodernen Glasportal des inmitten einer idyllischen Parklandschaft gelegenen Forschungsinstituts vor. In der Ferne erspähte sie etliche Spaziergänger, die jeweils paarweise durch den Park schlenderten, wobei eine der beiden Gestalten in Weiß gekleidet war. Handelte es sich um Schwester oder Pfleger, die Patienten begleiteten?
In diesem Augenblick traf es sie wie ein Keulenschlag: Was um alles in der Welt tat sie hier? Welcher Teufel hatte sie geritten, einfach ins nächste Flugzeug zu springen und hierher, in
Weitere Kostenlose Bücher