Temptation: Weil du mich verführst
fuhren mit dem Aufzug nach unten, wo Dr. Epstein sich mit der Erklärung verabschiedete, sie müsse dringend in ihr Labor zurück.
»Sie ist eine erstklassige Wissenschaftlerin«, vertraute Anne Francesca an, während sie einen Korridor entlanggingen, der in einen großen, lichtdurchfluteten Raum mit zahlreichen Fenstern mündete. Mehrere Patienten schlurften an ihnen vorbei und warfen Francesca neugierige Blicke zu. »Jetzt, wo das menschliche Genom entschlüsselt ist, können Dr. Epstein und ihre Kollegen die Informationen verwenden, um wirkungsvollere Medikamente gegen Schizophrenie zu entwickeln. Ian finanziert ihre Arbeit. Gerade eben wurde ein von ihr entwickeltes Medikament von der Europäischen Arzneimittelagentur zugelassen, und sie hat empfohlen, Helen damit zu therapieren. Bislang gibt es einige Hochs und Tiefs bei der Behandlung, aber seit dieser Woche zeichnet sich eine enorm positive Entwicklung ab. Ian ist überglücklich. Oft hat Helen ihn noch nicht einmal erkannt, ebenso wenig wie ihren Vater oder mich. Ihre Psychose war sehr stark ausgeprägt, aber jetzt – es ist unglaublich. Inzwischen darf sie sogar nach draußen und spazieren gehen, was bei ihrer Einlieferung vor sechs Jahren völlig undenkbar war.«
»Das ist ja wunderbar«, sagte Francesca und sah sich in dem Raum um, den Dr. Epstein zuvor als Morgenzimmer bezeichnet hatte. Zahlreiche Fenster gingen auf den hübschen Park und ein angrenzendes Wäldchen hinaus. Patienten, Pfleger und mehrere andere Personen – möglicherweise Familienangehörige – saßen in dem behaglich wirkenden Raum. Einige spielten Brettspiele, andere unterhielten sich und sahen aus dem Fenster. Vermutlich handelte es sich um Patienten mit weniger stark ausgeprägten Symptomen. Sie wirkten völlig klar und bewegten sich frei im Raum, ohne die Unterstützung von Pflegern oder Schwestern.
Ein kerniger, rüstig aussehender Mann, dessen hoch gewachsene Gestalt sie auf Anhieb an Ian erinnerte, erhob sich, als sie auf ihn zutraten.
»Francesca Arno, ich möchte Ihnen meinen Mann James vorstellen«, sagte Anne.
»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, meinte James und ergriff ihre Hand. »Ian hat gestern Ihren Namen erwähnt – das ist uns gleich aufgefallen, weil er sonst nur selten von Frauen spricht, was Anne und ich sehr schade finden«, fügte er mit einem belustigten Funkeln in seinen braunen Augen hinzu. »Dr. Epstein war hier mit uns zusammen, als der Anruf kam, dass Sie hier sind. Wir wussten ja nicht, dass Sie in England sind.«
»Das war auch eine sehr spontane Entscheidung.«
»Ian weiß es auch nicht?«, fragte James leicht verwirrt.
»Nein«, antwortete Francesca. Möglicherweise registrierte James ihre Besorgnis, denn er tätschelte gütig ihre Schulter, während sein Blick zu einem der Fenster schweifte, hinter dem sich der Park erstreckte. »Tja, dann wird er es wohl bald erfahren. Da kommen sie. Gütiger Himmel …«
James’ Finger krallten sich für einen kurzen Moment in ihre Schulter. Francesca, die ebenfalls zum Fenster hinausgesehen hatte, zuckte erschrocken zusammen. Ian ging neben einer zerbrechlich wirkenden Frau her, deren blaues Kleid um ihren schmerzlich mageren Körper hing. Während James gesprochen hatte, war sie herumgewirbelt und hatte Ian die Faust mit solcher Wucht in den Magen gerammt, dass sie ins Straucheln geraten war. Ian hatte sie zwar aufgefangen, doch Helen begann sich heftig zu wehren, als hinge ihr Leben davon ab.
»Schnell, rufen Sie Dr. Epstein«, wies James einen Pfleger an, der die Szene ebenfalls verfolgt hatte, dann wandte er sich ab und lief gemeinsam mit drei weiteren Pflegern zu der Tür, die nach draußen in den Park führte.
»O nein, nicht schon wieder«, presste Anne mühsam hervor, während sie und Francesca das Geschehen entsetzt verfolgten. Helen schlug wild um sich, während Ian sie zu beruhigen versuchte. Sie verpasste ihm einen heftigen Schlag gegen den Kiefer. Francescas Herz zog sich zusammen, als sie den gequälten Ausdruck auf seinem bildschönen Gesicht sah. Wie oft hatte Ian einen dieser Ausbrüche seiner Mutter mitansehen müssen? Wie oft hatte sich die freundliche, liebevolle Frau vor seinen Augen in diese gewalttätige, beängstigende Fremde verwandelt? Ein markerschütterndes Heulen drang ins Morgenzimmer – der hörbare Beweis für Helen Nobles grauenhafte Angst und die Tatsache, dass sie sich erneut im Würgegriff der entsetzlichen Geisteskrankheit befand.
»Nein«, stieß Anne
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