Tempus (German Edition)
links näherten sich weitere Zenturionen. Einer von ihnen kam direkt auf mich zu und flüsterte: »I kill you softly.«
Verdutzt drehte ich mich zu ihm um. Der Zenturio grinste und zwinkerte mit dem Auge. Verlegen schaute ich weg.
»Was hat er damit gemeint?«, erkundigte ich mich bei Erik, nachdem der junge Mann verschwunden war.
»Womit?«
» › I kill you softly.‘«
»Das heißt so viel wie Ich töte dich sanft «, übersetzte Erik.
»Das weiß ich selbst.« Am liebsten hätte ich ihm in die Rippen geboxt. Manchmal war er wirklich begriffsstutzig. »Aber was meint er damit?«
»Keine Ahnung.« Erik verzog den Mund fast zu einer Schlangenlinie. »Es gab mal so einen Song vor ein paar Jahren, der hieß Killing me softly . Vielleicht deshalb. Soll wohl ein Witz sein.«
»Ach so.« Aus irgendeinem Grund hatte ich mehr hinter dem Spruch vermutet.
»Wollen wir ins Kolosseum reingehen?«, fragte Erik. »Ich habe hier so besondere Tickets, die auch noch in den nächsten Tagen für andere Sehenswürdigkeiten gelten.«
»Ja, meinetwegen.«
»Das hört sich ja nicht gerade begeistert an.«
»Doch, doch, lass uns reingehen«, erwiderte ich schnell. Ich hatte keine Lust, die fünfhunderttausendste Diskussion über meine zu wünschen übrig lassende Begeisterungsfähigkeit zu führen.
Gemeinsam mit anderen Touristen schoben wir uns in das Kolosseum. Von innen war es nicht annähernd so gut erhalten wie von außen. Statt Erhabenheit: Verfall und Vergänglichkeit. Ich war ein bisschen enttäuscht, was ich Erik leichtsinnigerweise erzählte.
Er schüttelte daraufhin nur den Kopf und brubbelte: »Ich möchte mal erleben, dass dir etwas uneingeschränkt gefällt.«
Ich biss mir auf die Zunge und wurde rot. Warum hatte ich nicht meinen Mund gehalten? Lernte ich denn nie dazu? Zum x-ten Mal in meinem Leben beschloss ich, meine Gedanken künftig für mich zu behalten. Es war zu deprimierend, ewig missverstanden zu werden. Besonders von den eigenen Eltern. Wortlos verließen wir das Kolosseum und wanderten zum benachbarten Forum Romanum hinüber.
»Dies hier war also das politische, wirtschaftliche und religiöse Zentrum des antiken Rom«, bemerkte Erik und zwickte mir, obwohl er genau wusste, dass ich es hasste, aufmunternd in die Wange, während wir durch die Überreste ehemals monumentaler Gebäude streiften. Wir bewunderten einsame Säulen, die sich aus der Ruinenlandschaft erhoben und gut erhaltene Triumphbögen – Überlebende einer untergegangenen Welt. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Cäsar hier vor über zweitausend Jahren entlanggegangen war. Der Gedanke, dass ich quasi auf seinen Spuren wandelte, war elektrisierend. Langsam hob sich meine Stimmung wieder. Ich genoss die Luft auf meiner Haut, die Sonne und die Blicke der Italiener. Es war erstaunlich, wie unverhohlen sie mit mir flirteten. Jungen und Männer jeden Alters. Es lag wohl an meinen blonden Haaren. Anders konnte ich mir ihr Verhalten nicht erklären. Einige schnalzten, als ich an ihnen vorbeilief. Andere raunten mir fast schon verschwörerisch »Ciao« zu – trotz Eriks Gegenwart. Ich kam mir vor wie eine Göttin. Mehr schwebend als gehend bewegte ich mich vorwärts, auch als wir das Forum schon längst verlassen hatten. Mit halbem Auge nahm ich ein großes weißes Gebäude wahr, dem Erik jedoch keine weitere Beachtung schenkte. Er lief daran vorbei und ich folgte ihm; beziehungsweise ich schwebte ihm hinterher. Irgendwann blieb er vor einem Reiterstandbild stehen.
»Wir befinden uns jetzt auf dem Kapitolsplatz. Dieser Reiter hier ist der berühmte römische Kaiser Mark Aurel«, dozierte Erik mit seinem Reiseführer in der Hand. Anders als er konnte ich mich nicht richtig auf das Bronzestandbild konzentrieren. Schuld daran war ein Junge ungefähr meines Alters. Mir fiel auf, wie er immer engere Kreise um uns zog, sich dann plötzlich entfernte und mit einer blauen Blume zurückkehrte. Ich ahnte, was als Nächstes geschehen würde und riss Erik schnell den Reiseführer aus den Händen, um so zu tun, als würde ich darin etwas nachlesen. In Wahrheit kämpfte ich mit einem Kicheranfall.
Ich hatte mich nicht getäuscht: Der Junge tippte mir nur wenige Sekunden später von hinten auf die Schulter. Scheinbar überrascht drehte ich mich zu ihm um.
»Bella«, sagte er und überreichte mir die Blume.
»Ich heiße Elina«, korrigierte ich ihn auf Englisch.
»Bella«, beharrte er.
»Nix bella. Verschwinde. Avanti«, mischte sich Erik ein und
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