Tempus (German Edition)
wieder mehr isst. Und ich würde mich freuen, wenn du auch öfter lächelst«, sagte sie und streichelte mir über den Arm.
Flüstern über den Wolken
An meinem Geburtstag standen wir mitten in der Nacht auf und fuhren mit dem Auto nach Göteborg, um von dort aus gleich früh morgens nach Rom zu fliegen. Da wir nur von Freitag bis Montag fortbleiben wollten, hatte ich lediglich eine große Sporttasche mit den nötigsten Klamotten dabei. In der Schule war ich entschuldigt.
Die meisten hätten sich an meiner Stelle vermutlich auf die Reise gefreut, ich aber war in einer miserablen Stimmung. Die Flughafenatmosphäre weckte traurige Erinnerungen in mir. Rollkoffer ratterten laut über helle Steinfliesen, unverständliche Lautsprecherdurchsagen dröhnten in meinem Kopf, Menschen hasteten rechts und links an mir vorbei, schnitten mir den Weg ab und murmelten »Sorry.«
Ich musste an meinen Abschied von Kenia denken, und an meine Trennung von Harry. Fast genau ein Jahr war das her. Ich schluckte. Es war der schrecklichste Tag meines Lebens gewesen. Abgesehen von dem Tag, an dem ich Harrys letzte Mail erhalten hatte.
Ich fühlte mich grauenvoll.
Ein kalter Ring legte sich enger und enger um meine Brust, sodass ich fast keine Luft mehr bekam. Ich stand neben Erik am Abfertigungsschalter und kämpfte mit Atemnot. Die Vorstellung, meinen Geburtstag ohne Hedda zu verbringen, deprimierte mich zusätzlich. Ich fand meine Mutter zwar häufig anstrengend, aber sie gehörte zu meinem Geburtstag einfach dazu. Ich hatte noch nie ohne sie gefeiert.
Meine schlechte Laune hielt sogar noch nach dem Zwischenstopp in Deutschland an, wo wir aussteigen und in ein anderes Flugzeug wechseln mussten.
»Freust du dich? Bald sind wir da«, sagte Erik und schnallte sich an.
»Mhmm.« Ich blätterte lustlos in der Zeitschrift, die mir eine Stewardess gebracht hatte, während die Maschine abhob.
»Warum machst du dann so ein Gesicht?«
»Hab kein anderes.«
»Elina!« Erik klang ärgerlich.
»Tut mir leid, bin einfach müde.« Ich legte die Zeitschrift zur Seite und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
»Kein Wunder, wir sind auch extrem früh aufgestanden. Schlaf ein bisschen. Ich wecke dich, wenn wir gelandet sind«, sagte er umgehend. Anders als Hedda war mein Vater selten lange böse auf mich.
Eriks Schulter fühlte sich gut an. Die monotonen Turbinengeräusche des Flugzeugs sowie das Geraune und leise Geraschel der anderen Passagiere taten ihr Übriges. Schon bald spürte ich, wie meine Augen immer schwerer wurden. Genau in dem Moment, als mein Arm zum zweiten Mal zuckte, hörte ich eine Stimme flüstern. Es war dieselbe wie neulich Abend.
»Ich liebe dich!«
Ich stutzte. Für einen kurzen Augenblick war ich wieder hellwach. Ich bemühte mich, darüber nachzudenken, woher die Stimme kam und warum sie mich nicht erstaunte, geschweige denn erschreckte, aber die Müdigkeit war stärker. Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, schlief ich ein. Erst als die Maschine unsanft auf der Landebahn aufsetzte, wachte ich auf.
Ich rieb mir die Augen und guckte gespannt aus dem Fenster. Meine miese Stimmung war buchstäblich verflogen. Ich verspürte ein leichtes Kribbeln in der Magengegend.
»Wir sind da!« Erik lächelte mich an.
Rom
Wir fuhren mit einem Taxi zu unserem Hotel, das sich ganz in der Nähe des Kolosseums befand. Bereits von Weitem erblickte ich die Arena, deren gewaltige Mauern hoch in den wolkenlosen Himmel ragten. Mit jedem Meter, den wir zurücklegten, wurde ich aufgeregter. Langsam, aber sicher regte sich doch so etwas wie Vorfreude in mir.
Im Hotel füllte Erik mit seiner krakeligen Schrift zwei Formulare am Empfang aus. Danach brachte uns der Rezeptionist zu einem Fahrstuhl, der derart klapprig war, dass Erik und ich es schon gleich nach dem Einsteigen bereuten, die zwei Stockwerke nicht zu Fuß gegangen zu sein. Wie wir schon anhand der Schlüsselnummern vermutet hatten, lagen unsere Zimmer direkt nebeneinander. Sie waren nur mit dem Nötigsten eingerichtet und durch eine Verbindungstür, die nicht abgeschlossen war, miteinander verbunden.
Schnell machte ich mich ein wenig frisch und packte meinen Koffer aus. Ich hätte mich jedoch gar nicht so zu beeilen brauchen, denn Erik musste noch zwei Anrufe erledigen, die sich endlos in die Länge zogen. Mehrmals steckte ich ungeduldig meinen Kopf durch die Verbindungstür, um jedes Mal aufs Neue festzustellen, dass Erik noch telefonierte. Mit gerunzelter Stirn und
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