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Tempus (German Edition)

Tempus (German Edition)

Titel: Tempus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maud Schwarz
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wieder vertiefte er sich in seinen Reiseführer, um wenig später sein neu erworbenes Wissen wispernd an mich weiterzugeben. Ein- oder zweimal bot er mir an, selbst in das Buch zu schauen. Ich winkte ab. Statt darin zu lesen, wollte ich lieber alles in Ruhe auf mich wirken lassen, was angesichts der vielen Touristen nicht ganz einfach war. Minütlich strömten mehr Besucher in die bereits übervolle Kirche.
    »Mir wird’s hier langsam zu eng. Wollen wir raus?«, japste Erik. Er war mitten in eine japanische Reisegruppe hineingeraten, aus der er wie ein Leuchtturm herausragte. Ich grinste schadenfroh und nickte.
    »Und jetzt?«, fragte ich, als wir wieder draußen vor der Kirche standen.
    Erik überlegte kurz. »Wir könnten einen Happen essen, bevor ich zum Kongress muss!«
    »Einverstanden!« Ich hakte mich bei ihm unter und wir marschierten los. Anders als auf dem Hinweg liefen wir nicht quer über den Petersplatz, sondern bummelten einen der Säulengänge entlang, von denen er umgeben war. Über unseren Köpfen schaukelten in regelmäßigen Abständen schmiedeeiserne Laternen, die gerade von einem Handwerker gewartet wurden. Er stand auf einer Leiter, ließ bei meinem Anblick den Schraubenzieher sinken und raunte mir beim Vorbeigehen »Ciao bella« zu. Es klang wie Musik. Ich senkte den Kopf und biss mir auf die Lippen, um nicht zu kichern.
    Wir hatten die Vatikanstadt schon einige hundert Meter hinter uns gelassen, da sagte Erik plötzlich: »Elina, sei bloß vorsichtig, wenn du nachher allein unterwegs bist. Lass dich von niemandem ansprechen und geh mit keinem mit. Versprich mir das!«
    »Versprochen«, antwortete ich und verdrehte die Augen, was er nicht sah, weil er gerade die Tür zu einem Café öffnete. Eine Frau mit blassem Gesicht und Schatten unter den Augen begrüßte uns. Wir bestellten bei ihr am Tresen Sandwiches und Caffè Latte und setzten uns damit an einen kleinen Marmortisch direkt ans Fenster. Ich streckte meine Beine aus und gähnte. Nach dem vielen Rumlaufen tat es gut, endlich zu sitzen. Erik hingegen verbreitete Hektik. In einem Tempo, das nicht gesund sein konnte, stopfte er sein Käsesandwich in sich hinein und kippte den Milchkaffee hinunter.
    »Tut mir leid, Süße, ich muss jetzt unbedingt los. Sonst komme ich zu spät zum Kongress. Und nicht vergessen: von niemandem ansprechen lassen und mit niemandem mitgehen!« Er legte mir Geld zum Bezahlen auf den Tisch, gab mir einen Kuss auf die Stirn und hetzte davon. Ich blieb allein zurück und trank in Ruhe meinen Kaffee aus.
    Wenig später, ich wollte gerade aufbrechen, entdeckte ich seine Arzttasche. Sie stand unter dem Tisch, gleich neben dem Stuhl, auf dem Erik gesessen hatte. In der Eile hatte er sie vergessen. Na toll, nun durfte ich den Rest des Tages mit dem schäbigen Ding rumrennen! Ich schnappte mir seine Tasche, bezahlte und verließ das Café ohne konkretes Ziel.
    Genervt schlenderte ich die Straße hinunter. Es dauerte nicht lange und ich bemerkte einen Wagen, der im Schritttempo neben mir herfuhr. Durch das heruntergelassene Fenster auf der Beifahrerseite rief ein junger Mann mit öligen Locken mehrmals: »Ciao! Where are you from?«
    Ich tat so, als hätte ich es nicht gehört und ging weiter. Aber der Mann gab nicht auf und redete mit italienischem Akzent auf mich ein.
    »Do you speak English?«
    Ich reagierte nicht.
    »What’s your name?«
    Den Blick starr geradeaus gerichtet, setzte ich meinen Weg fort.
    »Helloooooo!«
    Um ihn ein für alle Mal loszuwerden, machte ich kurz entschlossen auf dem Absatz kehrt und lief in die entgegengesetzte Richtung. Selbst das half nicht. Der Mann fuhr einfach rückwärts neben mir her. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Wenn Erik bei mir gewesen wäre, hätte ich es lustig gefunden, so aber fühlte ich mich verfolgt.
    Nur wenige Schritte von mir entfernt, entdeckte ich eine Haltestelle. Ohne lange nachzudenken, hastete ich dorthin und sprang in den nächstbesten Bus. Geschafft! Den Typen war ich los. Erleichtert ließ ich mich auf einen freien Platz fallen. Sogleich setzte sich ein Junge meines Alters zu mir und versuchte, mich in ein Gespräch zu verwickeln.
    »Ciao! I am Giulio. I from Sicily. Where you from? Germany?«
    Das war doch nicht zu fassen! Kaum hatte ich den einen abgeschüttelt, war bereits der Nächste zur Stelle. Ich drehte demonstrativ meinen Kopf weg und sah aus dem Fenster. Den Jungen störte das wenig. Er tippte mir auf die Schulter und wiederholte in gebrochenem

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