Tempus (German Edition)
machte eine wegscheuchende Handbewegung. Nur zögerlich kam der Junge seiner Aufforderung nach.
»Meine Güte, sind die aufdringlich«, knurrte Erik, als der Junge endlich verschwunden war.
»Wie er wohl darauf kommt, dass ich Bella heiße?«, grübelte ich.
Erik gab ein grunzendes Geräusch von sich. »Bella ist in diesem Fall kein Name, Elina. Das ist Italienisch und heißt auf Schwedisch Schöne oder Liebste. «
Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Wie peinlich! Der Junge hatte mir ein Kompliment gemacht, und ich hatte es noch nicht einmal gemerkt. Stattdessen hatte ich ihn korrigiert. Vermutlich hielt er mich jetzt für dumm. Andererseits war ich noch nie zuvor in Italien gewesen. Woher sollte ich wissen, was bella hieß? In Kenia sprachen die Menschen überwiegend Englisch oder Swahili. Ich konnte mich nicht erinnern, dort jemals Italienisch gehört zu haben.
Erik hatte andere Sorgen: »Ich weiß nicht, so langsam habe ich das Gefühl, es ist keine gute Idee, dich morgen allein zu lassen. Die Italiener schwirren ja um dich herum, wie die Motten um das Licht«, brummte er.
»Willst du mich etwa im Hotelzimmer einsperren?«, fragte ich entsetzt.
»Nein, natürlich nicht. Aber … das ist ja … wie soll ich sagen …« Erik suchte nach den richtigen Worten. »Ich will nicht, dass sie dich belästigen.«
»Ich pass auf, versprochen.« Ich hob die Hand wie zum Schwur.
»Ich weiß nicht. Wohl ist mir dabei nicht.« Er sah besorgt aus, was mich wiederum beunruhigte.
Schnell versuchte ich, das Thema zu wechseln. »Ich bekomme langsam Hunger«, sagte ich möglichst harmlos.
»Du hast recht. Wir sollten wirklich langsam was essen. Aber in einem richtig netten Restaurant! Immerhin hast du Geburtstag«, pflichtete Erik mir unverzüglich bei. Das Ablenkungsmanöver hatte geklappt! Übermütig schwenkte ich die blaue Blume, die ich gerade geschenkt bekommen hatte, unter seiner Nase hin und her und säuselte: »Si, Signore.«
Leuchtpunkte
Die Suche nach einem geeigneten Restaurant war schwieriger als gedacht. Entweder fand Erik die Restaurants, auf die wir stießen, zu touristisch, zu simpel, zu teuer oder die Speisekarte sagte ihm nicht zu. Wir irrten bestimmt über eine Stunde durch Roms Straßen, bevor wir ein Lokal fanden, das uns beiden auf Anhieb gefiel. Es lag in einer engen Kopfsteinpflasterstraße, durch die sich nur ein paar Motorrollerfahrer trauten. Rechts und links von der Restauranttür standen kleine Tische an der Hauswand, adrett gedeckt mit weißen Tischtüchern, gelben Servietten, glänzendem Besteck und auf Hochglanz polierten Wein- und Wassergläsern.
Völlig erledigt ließ ich mich auf den nächstbesten Stuhl plumpsen. Erik bestellte bei dem sofort herbeieilenden Kellner für uns beide jeweils einen Salat als Vorspeise, Pasta als Hauptgericht, dazu eine große Flasche Wasser, die wir uns teilen wollten, einen viertel Liter Weißwein für sich selbst und zum Anstoßen zwei Gläschen Prosecco.
»Also, Elina, nochmals alles Gute zum Geburtstag! Ich hoffe, du hast ein bisschen Spaß in Rom«, prostete Erik mir zu.
»Ja, habe ich. Danke«, erwiderte ich und nippte an dem Prosecco. Bereits nach wenigen Schlucken hatte ich einen kleinen Schwips. Ich war Alkohol nicht gewohnt und außerdem hatte ich einen leeren Magen. Dass wir auf das Essen endlos lange warten mussten, machte es auch nicht gerade besser. Immerhin sorgte unser Kellner in der Zwischenzeit für Unterhaltung. Jedes Mal, wenn er an unserem Tisch vorbeilief, was häufig der Fall war, schmetterte er ein italienisches Lied. Ich wusste nicht, was ich lustiger fand: Den Kellner, der, selbst als er uns das Essen schon serviert hatte, weiterhin nach Vorwänden suchte, um sich unserem Tisch zu nähern, oder meinen Vater, der ihn mit argwöhnischen Blicken bedachte. Ich kam aus dem Kichern gar nicht mehr heraus. Zum Schluss fand ich alles komisch, sogar den Versuch des Kellners, mehr Trinkgeld herauszuschlagen, indem er umständlich in seinem Portemonnaie nach passendem Wechselgeld suchte.
»Wollen wir jetzt zurück ins Hotel?«, fragte Erik, nachdem er und der Kellner sich über die Höhe des Trinkgeldes einig geworden waren.
»Ja, mir reicht’s. Ich bin ganz schön k. o.«, nickte ich.
»Wir gehen zu Fuß, einverstanden?!«
»Ist das nicht zu weit?« Skeptisch sah ich Erik an.
»Ach was, bis zum Hotel brauchen wir höchstens zwanzig Minuten«, meinte Erik und marschierte los. Ich folgte ihm noch immer leicht
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