Tempus (German Edition)
Verhältnisse sprang ich regelrecht aus dem Bett. Ausnahmsweise war ich mal schneller gewaschen und angezogen als Filippa. Während sie sich ihre langen schwarzen Haare bürstete, trommelte ich mit den Fingern auf der Bettkante. Ich hatte das Gefühl, dass sich Filippa heute besonders viel Zeit für ihre Frisur nahm, was mich erst recht nervös machte. Endlich war sie fertig und wir gingen zum Frühstücken in das kleine Zimmer neben der Küche. Ich schlang ein Stück Brot und ein paar Oliven hinunter. Filippa beobachtete mich, sagte aber nichts.
»Ich geh ein bisschen vor die Tür!« Ungestüm stand ich von meinem Stuhl auf. Bevor ich es verhindern konnte, fiel er um und krachte gegen eine Bodenvase, die zum Glück heil blieb.
»Pass doch auf«, tadelte mich Filippa.
»Tut mir leid«, nuschelte ich.
»Ich verstehe nicht, was du um diese Zeit da draußen willst? Es ist kalt.«
»Ich brauche frische Luft.«
»Willst du mir nicht lieber helfen?«
»Wobei? Es gibt doch gar nichts für mich zu tun. Für jeden Handschlag habt ihr einen Sklaven.« Ohne Filippas Antwort abzuwarten, lief ich hinaus. Feuchtkalte Luft empfing mich. Es war inzwischen schätzungsweise Anfang November, und über Lucius’ Anwesen lagen wabernde Nebelschwaden, aus denen vereinzelt Statuen und Bäume herausragten. Auf einmal erschien es naheliegend, dass sich an einem Ort, der so verwunschen aussah wie dieser, Gegenwart und Vergangenheit berührt hatten oder sogar noch berührten. Aber wo genau mochte das Tor zur anderen Welt jetzt sein? Und wann war es geöffnet? Ich zog das Schultertuch, das Filippa mir geliehen hatte, enger vor der Brust zusammen und lief um das Haus, um nach Marcius Ausschau zu halten. Heute wollte er zurückkehren. Doch das Einzige, was ich sah, war mein eigener Atem. Fröstelnd kehrte ich nach etwa einer halben Stunde in Filippas und mein Zimmer zurück. Aufmerksam beobachtete ich von dort aus den Sandweg, doch ich konnte nirgends Reiter entdecken. Einerseits wünschte ich, Marcius würde endlich zurückkehren. Andererseits wusste ich nach wie vor nicht, was ich ihm erzählen sollte. Im Grunde war ich genauso ratlos wie immer.
Ich setzte mich auf mein Bett, zog die Knie ans Kinn und schlang die Arme um die Beine. Ich grübelte und grübelte, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Nach einer Weile stand ich auf und guckte erneut aus dem Fenster. Nichts! Der einzige Mensch, der sich um die Mittagszeit blicken ließ, war Filippa.
»Wollen wir zusammen essen?« Sie stand vor meinem Bett und strich sich fahrig eine Strähne aus dem Gesicht.
»Hab keinen Hunger.«
»Nur eine Kleinigkeit!«
Weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen, folgte ich ihr schließlich in den kleinen Raum neben der Küche. Dort saß zu meinem Erstaunen Kleon am bereits gedeckten Tisch. Üblicherweise aß er nicht mit uns, sondern mit Lucius. Ich ahnte nichts Gutes.
»Setz dich!« Kleon zeigte auf einen Schemel. Schweigend nahm ich gegenüber von ihm und Filippa Platz. »Möchtest du etwas hiervon?« Er hielt mir eine Platte mit Schinken und Käse unter die Nase.
Ich schüttelte den Kopf.
»Ein paar Weintrauben vielleicht?«
»Ja, danke«, antwortete ich.
Was ging hier vor sich? Wieso aß Kleon mit uns und warum spielte er die Rolle des aufmerksamen Gastgebers? Das passte ganz und gar nicht zu ihm. Am meisten beunruhigten mich Filippas Hände, die zitterten, während sie den Käse schnitt.
Kleon räusperte sich. »Elina, ich muss mit dir im Auftrag von Lucius reden.«
Mit zusammengekniffenen Augen sah ich von ihm zu Filippa, die meinem Blick auswich. Es war offensichtlich: Kleon sollte mir eine unangenehme Botschaft überbringen. Aber welche? Ich versuchte, ruhig zu bleiben und den Kloß in meinem Hals zu ignorieren.
Kleon räusperte sich nochmals und wollte gerade etwas sagen, da ertönten laute Schritte und aufgeregtes Stimmengewirr. Neilos, der Sklave, der von Verus erpresst wurde, kam zu uns ins Zimmer gestürzt.
»Ich habe gesagt, dass ich nicht gestört werden will«, schnauzte Kleon ihn an.
Neilos, der ohnehin wie ein Gespenst aussah, wurde noch blasser. Er beugte sich zu Kleon hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Aus dem Gesicht von Filippas Ziehvater wich ebenfalls sämtliche Farbe.
»Geh und sag Lucius Bescheid«, befahl er Neilos, und zu Filippa gewandt: »Wir müssen los, Cornelia bekommt ihr Baby.«
»Dafür ist es viel zu früh«, erwiderte sie verdattert.
Er nickte. »Es gibt Schwierigkeiten.«
»Soll ich
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