Tempus (German Edition)
einer der Helden, Achilles ...« Er kam auf mich zu. »Aber darüber wollte ich mit dir eigentlich nicht sprechen.« Marcius’ Augen ließen mich nicht los, was mich noch nervöser machte.
Fieberhaft suchte ich nach einem harmlosen Thema. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich den Film Troja im Fernsehen gesehen. Brad Pitt hatte Achilles gespielt, einen Verbündeten des Königs von Sparta. Gemeinsam hatten die beiden versucht, die Stadt Troja einzunehmen, um die schöne Helena zurückzuholen, die mit dem König von Sparta verheiratet war. Paris, ein trojanischer Prinz, dargestellt von Orlando Bloom, hatte sie nach Troja entführt. Genau genommen war Helena freiwillig Paris dorthin gefolgt, weil sie ihn liebte. Ungerechterweise war es nicht Paris gewesen, der im Laufe des Krieges von Achilles getötet wurde, sondern sein Bruder Hektor, der mit der vermeintlichen Entführung nichts zu tun hatte.
Von dem Film konnte ich Marcius natürlich nicht berichten. Ich konnte ihn höchstens fragen, ob die Geschichte mit Achilles, Paris und Hektor, so wie ich sie kannte, mit der Ilias identisch war. Ich seufzte. Es war wirklich schwierig und anstrengend, ständig mein altes Leben auszublenden und zu verschweigen. Manchmal machte es mich fast wahnsinnig. Es war als hätte ich keine Vergangenheit.
Das Ergebnis meiner langen Überlegungen war ein alles andere als unverfänglicher Gesprächsstoff: »Dein Vater hat gesagt, ich muss Verus nicht heiraten, was ich sowieso nie getan hätte«, platzte ich schließlich heraus. Na, toll! Was hatte ich mir dabei nur wieder gedacht?!
»Das hast du bereits mehrfach erwähnt. Ich erinnere mich.« Erneut huschte ein Lächeln über Marcius’ Gesicht. Es stand ihm gut. Er sah so unglaublich gut aus. Und so unerreichbar. »Wie du weißt, war ich zusammen mit Verus fort. Auf dem Weg hierher hat er mir eröffnet, dass er einer anderen versprochen ist und dich deshalb nicht heiraten kann.« Marcius’ Miene war jetzt ernst.
»Cornelia?«, fragte ich.
»Du weißt davon?« Er kratzte sich am Kopf. »In diesem Haus gibt es zu viele Ohren!«
»Er wollte sie heiraten?«
»Verus wollte zumindest meinen Vater bitten, sie ihm zu geben, um mit ihr zusammenzuleben. Ob er sie geheiratet hätte? Ich weiß es nicht. Sie war eine Sklavin. Bei Verus kann man allerdings nie sicher sein. Er setzt sich gern über alle Regeln hinweg und pfeift auf die guten Sitten. Ich war einigermaßen überrascht, als er mir von seinen Plänen berichtete.« Marcius klang verbittert.
»Du verurteilst ihn deswegen?«
»Ja, das tue ich. Manchmal beneide ich ihn aber auch um diese Haltung. Ich indessen habe die meiste Zeit meines Lebens damit verbracht, die Erwartungen meines Vaters zu erfüllen.« Marcius setzte sich auf eine der Truhen und klopfte mit der Hand neben sich. »Komm zu mir, Elina!«
Zögerlich folgte ich seiner Aufforderung. So schön seine Nähe auch war, sie war gefährlich.
»Das ist traurig«, murmelte ich.
»Was? Dass ich immer versuche, die Erwartungen meines Vaters zu erfüllen?«
»Nein. Cornelia ist gestorben, ohne zu wissen, dass Verus sich für sie entschieden hat. Bis zum Schluss hat sie geglaubt, er würde mich heiraten. Ist das nicht furchtbar?«
»Ja, ich weiß. Verus leidet deswegen.«
»Das merkt man ihm nicht an!«
»Er kann seine Gefühle gut verbergen. – Eigentlich stimmt das gar nicht«, korrigierte sich Marcius. »Bei Verus äußern sich Trauer und Schmerz nur anders. Er wird dann wütend und hadert mit dem Schicksal.«
»Dann habe ich ihm wohl Unrecht getan«, sagte ich nach einer Weile. An den Gedanken, dass Verus womöglich doch nicht so ein mieser Kerl war, musste ich mich erst noch gewöhnen.
»Wir alle tun von Zeit zu Zeit anderen Menschen Unrecht.«
»Warum ist das so?«
»Ich weiß nicht. Ich nehme an, weil der Mensch nicht perfekt ist. Wie es scheint, gibt es nichts Verlässlicheres als Ungerechtigkeit.« Marcius lachte gequält auf.
»Das ist deprimierend.«
»Nicht unbedingt. Man darf es nur nicht persönlich nehmen. Das Leben ist einfach so. Die Menschen sind so. Besser du gewöhnst dich daran, sonst wirst du häufig unglücklich sein, Elina.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann. Das ist leichter gesagt, als getan.«
Er nickte und schwieg, den Blick auf den Boden gerichtet. Ich wusste, dass er inzwischen längst über etwas anderes nachdachte. »Ist es ungerecht oder falsch, von dir zu verlangen, mir endlich die Wahrheit zu sagen?« Er griff nach meiner Hand und
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