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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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›unabwendbar‹ sagen, oder? Wenn du Sigourney Weaver für sexy hältst, bist du ein Homosexueller.«
    Ich fand Sigourney Weaver auch sexy, außerdem gefiel mir ihr Name, ein Künstlername, den sie von einer Gästeliste im Großen Gatsby hatte. Aber Onkel Charlie war so empört, dass ich lieber schwieg. Er schimpfte über die »Unfickbarkeit« von Sigourney Weaver, dann knallte er mit der Hand auf die Theke. Fall abgeschlossen. Niemand von uns durfte sich für Sigourney Weaver interessieren. Und falls wir nicht gehorchten, falls einer von uns sich jemals für sie interessierte, würde er im Publicans nicht mehr bedient werden. Anschließend diskutierten wir, wer als Inbegriff von Weiblichkeit gelten könnte. Welche Sirene fand die ungeteilte Zustimmung unter allen Männern? Eine Probeabstimmung wurde durchgeführt, die Schauspielerin Elisabeth Shue gewann, obwohl ein Veteran mit Ohren wie Aprikosen ständig behauptete, wir würden Myrna Loy nicht genügend berücksichtigen.
    »Schluss jetzt mit Schnallen«, sagte Onkel Charlie. »Das Thema deprimiert mich. Ich hatte seit der kubanischen Raketenkrise keinen Sex mehr.«
    Die Unterhaltung wechselte von Frauen zu Baseball, ein häufiger Übergang im Publicans. Onkel Charlie lieferte eine leidenschaftliche Abhandlung über »diese anderen wankelmütigen Schlampen – die Metropolitans«. Die Mets hatten die National League East gewonnen, und Onkel Charlie analysierte für uns ihre Chancen in den Playoffs und Series. Als Mets-Fans waren wir alle gespannt auf seine Vorhersagen, aber gerade als er warm gelaufen war, hielt am Ende der Theke eine laute Mädchenhorde die Gläser hoch und rief: »Könnte mal jemand kommen?«
    »Die Außerirdischen sind durstig«, murmelte Seersucker.
    Onkel Charlie ging und versorgte die Mädchen. Ich drehte mich nach rechts, wo ein etwa zehn Jahre älterer Mann am Tresen lehnte und ein Buch las. Er hatte große schwarze Augen, einen buschigen schwarzen Schnauzer und trug eine schicke schwarze Lederjacke, sehr modisch, sehr teuer. Er sah unglaublich, fast schon grotesk gut aus und hielt ein Martiniglas in der Hand, als handle es sich um eine mit Dornen gespickte Rose. »Hallo«, sagte ich. »Was lesen Sie da?«
    »Rilke.«
    Ich stellte mich vor. Er hieß Dalton und war Anwalt – sagte er jedenfalls. Er kam gerade von einer Weltreise zurück – sagte er jedenfalls. Er schrieb Gedichte – dito. Nichts, was er von sich gab, schien glaubwürdig, weil er jegliche Einzelheiten verweigerte, beispielsweise, auf welches Recht er spezialisiert oder wo er gereist war oder welche Art von Lyrik er schrieb. Kein spezielles Recht, sagte er ungeduldig. Irgendwo im Fernen Osten, sagte er und winkte ab. Ganz normale Gedichte eben, sagte er und fügte hinzu: »Blödmann.« Ich interpretierte seine Kühnheit und Vagheit, seine schwarze Lederjacke und sein jamesbondhaft gutes Aussehen dahingehend, dass er ein Spion war.
    Trotz seiner großen Vorsicht erwies sich Dalton als ziemliche Plaudertasche. Solange es nicht um ihn ging, teilte er die große Spannbreite seiner Ansichten bereitwillig mit. Er verstand es besser als jeder im Publicans, seinem Gesprächspartner die Bälle zuzuspielen. Wir redeten über Kunst, Kino, Lyrik, Essen und wir redeten übers Reden. Das Publicans, stimmten wir überein, war ein Paradies für Redner. In den meisten Kneipen, sagte Dalton, redeten die Leute, um ihr Trinken zu rechtfertigen – im Publicans war es umgekehrt, hier wurde um des Redens willen getrunken. Ich erzählte ihm, dass Thomas Jefferson, Montaigne und Cicero die Kunst der Konversation für die männlichste hielten. Ich sagte, für mich sei eine Unterhaltung immer noch das beste Mittel, einander kennen zu lernen, worauf er meine Hand ergriff und schüttelte. »Genau meine Meinung!« rief er. »Du hast vollkommen recht. Blödmann.«
    Als Dalton wissen wollte, warum ich so schick angezogen war, erzählte ich ihm von meinem Ausflug in die Stadt und wie mir meine Ex-Freundin das Herz aus der Brust gerissen und es vor mir verspeist hatte. Er drückte mir sein Buch an die Brust. »Du musst unbedingt meinen Freund Rilke kennen lernen«, sagte er. »Rilke schreibt: ›Das Geschlecht ist schwer‹ ja ›Aber es ist Schweres, was uns aufgetragen wurde …‹«
    Ich schrieb mir diese und andere Zeilen, zusammen mit den zufälligen und abstrusen Bemerkungen von Seersucker & Co. auf eine Serviette.
    Zur Sperrstunde fühlte ich mich großartig. Sidney war nur noch ein verschwommener

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