Tender Bar
mich um eine Kundin kümmerte. Durch mein betrügerisches Blabla über Kerzen und Seifen hörte ich Dora zu dem Anrufer sagen, ich sei beschäftigt und könne unmöglich gestört werden. »Wer?« rief sie in den Hörer. »New York Times?«
Ich sprintete zum Ladentisch und riss Dora den Hörer aus der Hand. »Hallo?«, sagte ich.
»Hallo?«
Es war eine Frau aus der Personalabteilung der Times. Sie hieß Marie. In den Wochen, seit ich meine Arbeitsproben an die Times geschickt hatte, war mir entfallen, dass ich die Nummer von Lord & Taylor auf meinen Lebenslauf geschrieben hatte. Ich fand es sicherer als das Telefon bei Opa, wo jemand vielleicht dachte, ein Anrufer wollte nur eine Wette loswerden. Marie sagte, ein Redakteur habe meine Unterlagen gelesen und sie für gut befunden. Am liebsten hätte ich laut geschrien, aber andererseits fragte ich mich, welcher Klugscheißer aus dem Publicans ein passables Falsett imitierte und mir einen Streich spielte. Smelly – bist du das? Doch diese Marie benutzte ständig Worte, die Smelly gar nicht kannte, sie musste also echt sein. Die Times biete ein Ausbildungsprogramm für frische College-Absolventen an, sagte sie. Man fing als Volontär an, könnte sich aber in die Position eines Reporters hocharbeiten. Ob ich interessiert sei. Ich suchte nach einer möglichst coolen Art, ihr zu sagen, dass ich es war. Ich wollte beiläufig klingen, aber nicht zu beiläufig. Eifrig, aber nicht übereifrig. Ich umklammerte den Hörer fester und sah zu Dora. Keine Hilfe. Ich sah zu der Kundin, die ich eben stehen gelassen hatte. Noch weniger Hilfe. Sie tippte ungeduldig mit dem Fuß und sah auf die Uhr. Ich entschied mich für die schlichte und einfache Variante. »Ich bin interessiert«, sagte ich zu Marie.
»Gut. Wie schnell können Sie mir noch ein paar Arbeitsproben zukommen lassen?«
»Noch mehr? Ihnen liegt alles vor, was ich für die College-Zeitung geschrieben habe.«
»Hm, dann haben wir ein Problem. Die Redakteure möchten mehr sehen, bevor sie eine Entscheidung treffen.«
»Ich könnte noch mal nach New Haven fahren und die Mikrofilme in der Bibliothek durchsehen, vielleicht ist mir etwas entgangen.«
»Gute Idee. Und wenn Sie noch etwas finden, geben Sie Bescheid.«
Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, war ich außer mir vor Aufregung. Ich schwebte zu der Kundin zurück und verkaufte ihr eine Schachtel Jasminseife, acht oder zwölf Gästetücher und einen Zigarettenanzünder von Waterford, mit dessen Hilfe ich Dora erneut als Verkäuferin des Tages ausstach. Der Preis war ein Dinner für zwei in einem italienischen Restaurant. Als ich Dora den Gewinngutschein schenkte, legte sie mir eine Hand auf die Wange. »Bist ein guter Junge«, sagte sie. »Mir ist wirklich schleierhaft, warum dich die anderen Frauen nicht mögen.«
Ich wartete auf die Abfahrt des Zuges im Grand Central, den Kopf ans Fenster gelehnt, da sah ich sie durch mein Spiegelbild gehen. Sie trug einen hellbraunen Leinenrock und ein dünnes, elfenbeinfarbenes kurzärmeliges Top, in der Hand hielt sie einen Pappteller mit einem Stück Pizza. Auf der Suche nach einem Wagen, der nicht so voll war, spähte sie in mein Fenster und ging dann weiter den Bahnsteig entlang. Sekunden später kam sie zurück. Diesmal winkte ich. Sie erschrak, dann lächelte sie. Sie kam in meinen Wagen und setzte sich zu mir. »Hallo, Trouble«, sagte sie. »Wohin geht’s?«
»Yale. Mir fehlen ein paar Arbeitsproben für die New York Times.«
»Nein!«
»Ich hab ihnen meine Sachen geschickt, jetzt wollen sie mehr sehen.« Sie drückte mein Knie.
»Und du?«, fragte ich.
»Nach Hause, meine Eltern besuchen.«
Während der Zug in Richtung Norden tuckerte, redete ich über Schicksal. Das Schicksal werfe uns immer wieder zusammen, führte ich an. Vom Verfassungsrecht bis zum Grand Central, immer wieder kreuzten sich unsere Wege. Wie es aussah, wollte uns das Schicksal etwas sagen. Wie sonst ließe sich diese zufällige Begegnung erklären? Vor allem, wenn ich in einer Mission unterwegs war, die sie angeregt hatte. Das Universum, sagte ich, will uns zusammen sehen.
Ich vertrat mein Anliegen, während sie ihre Pizza aß. Als sie fertig war, rieb sie ihre Hände zusammen, um die Krümel zu entfernen, und sagte: »Vielleicht lag ich doch falsch.«
»Wirklich?«
»Ja. Vielleicht hättest du doch Jura studieren sollen.«
Ich runzelte die Stirn. Sie streichelte meinen Arm und erklärte, sie stimme mir in allem zu, was ich eben gesagt
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