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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Jahren, kurz nach seiner Scheidung, als Ablenkung der beste Schutz gegen Depression war. Dann wurden wir alle von Banker abgelenkt, der eine Rede über Lincolns Begeisterung für Macbeth hielt. »Das Stück kam seinem Sinn für Vorahnungen entgegen«, erklärte Banker.
    »Lincoln glaubte auch an böse Omen«, sagte General Grant. »Wer tut das nicht?«, entgegnete Onkel Charlie.
    »Lincoln las Macbeth wenige Tage vor seiner Ermordung«, sagte Banker. »Wusstet ihr das? Könnt ihr euch vorstellen, wie er mit seinem Zylinder dasitzt und von einem ›schnöden Mord‹ liest, kurz bevor er ermordet wird?«
    »Du meinst, er hat beim Lesen einen Hut getragen?«, fragte Don. »Diesen riesigen Zylinder hatte Lincoln ganz bestimmt nicht beim Lesen auf.«
    »Dir würde ein Zylinder auch gut stehen«, sagte Banker zu Onkel Charlie.
    Die Vorstellung von Onkel Charlie mit Zylinder erntete lautes Gelächter.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich meine Haare vermisse«, sagte Onkel Charlie aus heiterem Himmel zu Don, der ihm über den Arm strich.
    »Hey, Colt!«, rief jemand durch die Bar. »Eben fiel mir noch ein Batman-Schurke ein! Clock King!«
    »Gute Arbeit«, sagte Colt und schrieb den Namen auf seine Liste. »Wie wär’s mit Mr Salty?«, schlug ich vor.
    »Falsch«, sagte Onkel Charlie. »Einen Mr Salty gab es nicht.«
    »Stimmt«, sagte ich. »Das ist richtig.«
     
     
     

31 | ALADIN
     
    An Thanksgiving arbeitete ich eine Doppelschicht, und als ich zu Opa nach Hause kam, war kein Krümel vom Abendessen mehr übrig. Das Haus war dunkel, alle schliefen. Ich ging ins Publicans, wo es proppenvoll war. An Thanksgiving herrschte immer Hochbetrieb, es war der beste Abend, weil jeder nach dem Essen auf einen Sprung vorbeikam und jeder, der einmal in Manhasset gewohnt hatte, zurückkehrte und sich mit früheren Flammen oder alten Freunden treffen wollte.
    Gleich am Eingang lief mir DePietro über den Weg, ein Schulkamerad aus Shelter Rock. Ich hatte ihn seit Jahren nicht gesehen. Er arbeite im World Trade Center, sagte er, und handle mit Schatzanweisungen. Dann erkundigte er sich, wie ich Thanksgiving verbracht hatte.
    »Welches Thanksgiving?«, fragte ich.
    »Gab es keinen Truthahn?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du siehst bleich aus, Kumpel. Du siehst aus wie ein Mann, der gut ein paar Silk Panties vertragen könnte.«
    Colt stand hinterm Zapfhahn, und DePietro bat ihn, zwei Silk Panties zu mixen. Als ich fragte, was das sei, winkten sowohl DePietro wie Colt ab, als wollten sie sagen, ich solle mir nicht über derart banale Einzelheiten den Kopfzerbrechen. »Salud«, sagte Colt und leerte einen Krug mit klarer Flüssigkeit in ein Schnapsglas. Die klare Flüssigkeit tropfte zäh wie Syrup.
    »Schmeckt wie gefrorene Pfirsiche«, sagte ich nach einem kleinen Schluck.
    »Von dem Zeug frieren dir noch ganz andere Sachen ab«, sagte Colt. »Ich muss was essen«, sagte ich. »Kann Smelly mir einen Burger machen, oder ist es schon zu spät?«
    DePietro wollte, dass ich auf der Stelle mit zu ihm nach Hause ging. Er hätte eine Überraschung für mich. Mir fehlte die Kraft, lange zu diskutieren. Die Silk Panties wirkten auf mich wie ein Valium-Cocktail. Mit halsbrecherischem Tempo fuhr er durch Manhasset Woods und kam schlingernd zum Stehen vor einem riesigen, mir nicht unbekannten Haus im Tudor-Stil. Mir war, als hätte ich als kleiner Junge oft durch die Fenster gespäht. Er führte mich durch die Hintertür in eine blitzblanke Küche und tat mir einen Teller mit Resten auf – Truthahn, Walnussfüllung, ein Stück Kürbiskuchen. Während ich das Essen genoss, erzählte mir De-Pietro Geschichten, unvergessliche Geschichten, darunter eine von einem seiner Bekannten, der eine Woche vor seinem achtzehnten Geburtstag den Platzrekord im Plandome Country Club brach. Mit geschwellter Brust zeigte der Kleine seine Zählkarte dem Pro, der ihn einfach wegschickte – um den Platzrekord aufzustellen, musste man achtzehn sein. Eine Woche später, am Morgen seines achtzehnten Geburtstags, tauchte der junge Mann im Morgengrauen auf, mietete einen Caddie, zog los und brach erneut den Platzrekord. Als er seine Zählkarte vorlegte, sagte er dem Pro, er solle sie sich in sein Wasserhindernis schieben. »Auf den zweiten Neun war seine Technik perfekt«, sagte DePietro. »Jemand erzählte mir, dass der Rotzbengel seinen letzten Putt aus einer Entfernung von fünfzehn Metern gestopft hat«
    Ich sagte DePietro, dass ich alles für ein solches

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