Tender Bar
war der Kerl, der die Geschichte von der Lampe und dem Geist schrieb.«
Schließlich lieh ich mir in der Bibliothek von Manhasset ein Exemplar der Abenteuer aus 1001 Nacht aus. Ich setzte mich an Onkel Charlies Thekenende und las, dass Aladin der Name des wurzellosen Jungen und der Held der Geschichte ist; dass ein Zauberer, den der Junge für seinen Onkel hält, ihn in eine tiefe Höhle schickt, um eine »wunderbare Lampe« zu holen; dass der Zauberer den jungen mit der Lampe in die Höhle sperrt; dass sich der Junge nervös die Hände reibt und damit einen Geist herbeiruft, der anbietet, ihm alles zu besorgen, was er braucht.
Dies alles erzählte ich Onkel Charlie, worauf es zu einem heftigen Wortgeplänkel darüber kam, ob Steve eher die Lampe oder der Geist sei. Ich hielt daran fest, dass das Publicans die Lampe war und Steve der Geist sowie die Quelle des Lichts. Ohne Steve werden wir alle in einer lichtlosen, geistlosen Lampe hängen.
Später erzählte ich Dalton und DePietro von meiner Theorie und überlegte laut, ob Aladin der Schlüssel zu meinem Publicans-Roman sein könnte. Ich würde eine moderne Version der Abenteuer aus 1001 Nacht schreiben und sie 1001 Abenteuer im Publicans nennen. DePietro hörte mir nicht zu, weil er versuchte, eine Frau anzubaggern, die in der ganzen Stadt als Verrückte galt. Allerdings hörte er ihr auch nicht zu, sondern tat nur so, eine bemerkenswerte schaupielerische Leistung, da sie mindestens genauso langweilig wie verrückt war und jeden Satz mit der Wendung »wie es im Buche steht« beendete. Dalton, dessen Nase in einer Gedichtsammlung von Emily Dickinson steckte, hörte auch nur halb zu. Auf der Theke lag eine Mappe mit Gedichten, die Dalton übers Publicans geschrieben hatte, darunter auch mehrere über Onkel Charlie, der für Dalton das war, was die Amsel für Wallace Stevens. »Vergiss Aladin«, sagte Dalton. »Hör dir das an.« Er las mir »Vielleicht wär es einsamer« von Emily Dickinson vor. Wir redeten über Dichterinnen, dann Frauen im Allgemeinen. Ich sagte Dalton, dass mir aufgefallen war, wie er eine schöne Frau beim Eintreten in die Bar beäugt hatte – nicht lüstern, sondern verzückt. »Sehr aufmerksam«, sagte er. »Frauen haben es nicht gern, wenn man sie lüstern ansieht, aber sie finden es toll, wenn man sich ihres Anblicks erfreut.«
»Ach wirklich?«, sagte Onkel Charlie. »Mir ist das lästig.«
Ich erwähnte Sidney und erfuhr entgeistert, dass auch Dalton eine Sidney hatte, eine Frau in seiner Vergangenheit, die ihm das Herz gebrochen hatte und jetzt als Maßstab diente, an dem alle Nachfolgerinnen gemessen wurden. Jeder Mann, versicherte mir Dalton, habe eine Sidney. Es war das erste Mal, dass ich ihn traurig erlebte.
»Emily wusste Bescheid«, sagte er und schwenkte das Buch. »Die verrückte Ziege hat sich in ihrer Dachkammer versteckt, weil sie die Einsamkeit den Schrecken der Liebe vorzog.«
DePietro wandte den Blick von seiner neuen Freundin und begutachtete Dickinsons Bild auf dem Bucheinband. »Nicht gerade ein Hingucker«, sagte er.
»Die Frau ist ein Sauertopf wie er im Buche steht«, bestätigte seine Schnepfe.
»Sie war ein Engel«, sagte Dalton. »Diese Sensibilität. Diese aufgestaute Leidenschaft. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und mir diese kleine Giftziege vornehmen. Würde ihr gern zu einem ordentlichen Zeilensprung verhelfen. Versteht ihr, was ich meine?«
»Wenn überhaupt jemand eine einsiedlerische alte Jungfer im Neu-England des zwanzigsten Jahrhunderts aufs Kreuz legen könnte«, sagte ich, »dann du. Und wenn ich’s mir recht überlege und das Publicans wäre Aladins Wunderlampe, dann würde ich mir ein klein wenig von deiner Macht bei Frauen wünschen.«
»Die Macht besteht darin, zu erkennen, dass wir machtlos gegen sie sind, Blödmann«, sagte Dalton.
Außerdem, fügte er hinzu, hast du alles falsch verstanden: Vermutlich erzählen wir der Bar, was wir möchten, und die Bar wirft, ähnlich wie die Wunderlampe, ein Licht auf unsere Bedürfnisse.
»Steve ist die Lampe«, sagte ich.
»Ich dachte, Steve sei der Geist«, erwiderte DePietro.
»Steve ist das Licht«, behauptete Dalton.
Verwirrt sahen wir uns an. Dann wandte DePietro sich wieder seiner Freundin zu, Dalton widmete sich erneut Emily, und ich warf einen Blick zur Tür, um das nächste Geschenk der Kneipe zu erwarten – eine Frau. Ich betete, dass es eine Frau wäre. Ich wusste, dass es eine Frau wäre. Die ideale Frau. Die
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