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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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alle hielten Publicans on the Pier für eine gute Idee. Sobald Steves neues Vorhaben die Runde machte, sagten viele in Manhasset, sie könnten nicht verstehen, warum er sich den Stress und die Hektik aufhalste. Immerhin gehörte ihm schon der ganze Häuserblock der Plandome Road, an der das Publicans lag. Er war der beliebteste Kneipier in der Geschichte der Stadt, und das wollte etwas heißen, bei dem Status Manhassets als Walhalla des Alkohols. Für die Vertreter dieser isolationistischen Fraktion war Steve vergleichbar mit Amerika – er war groß, reich, mächtig, bewundert. Er sollte zu Hause bleiben, sagten sie, sein Geld zählen, auf Nummer sicher gehen. Wenn die Außenwelt etwas für ihn bereithielt, dann sollte die Außenwelt zu ihm kommen.
    Mein Eindruck war, dass solche Schwarzseher im Grunde nur eines nicht wollten: Steve mit der Außenwelt teilen. Schon jetzt waren sie eifersüchtig auf die Menschenmengen in Manhattan, die Steve bald entdecken würden, die feinen Herren und hohen Tiere und Draufgänger, die Steve den Kopf verdrehen und ihn uns abspenstig machen könnten. Wenn Steve ein weiterer Toots Shor wurde, ein weltbekannter Gastronom, der mit Berühmtheiten Gelage feierte und mit Bürgermeistern per Du stand, würde er für die Unterlinge, die er zurückließ, bestimmt nicht mehr viel übrig haben. Wenn das Publicans on the Pier ein Hit wurde, würde das Publicans in Manhasset zu einem Anhängsel degradiert.
    Und in den ersten Monaten des Jahres 1987 schienen die Schwarzseher Recht zu behalten. Steve ließ sich kaum noch blicken. Ständig eilte er in die City, handelte Verträge aus, unterschrieb Papiere, überwachte den Beginn der Bauarbeiten. »Wir kriegen den Chef kaum noch zu Gesicht«, sagte Onkel Charlie traurig.
    Ohne Steves strahlendes Lächeln war die Bar spürbar dunkler.
    In Steves Abwesenheit redeten wir oft über ihn und glorifizierten ihn, als wäre er schon gestorben. Doch je mehr wir über ihn redeten, umso weniger wussten wir, fand ich, was in ihm vorging. Steve war zwar die beliebteste und interessanteste Person in Manhasset, aber letztendlich blieb er allen ein Rätsel. Die Leute priesen oft seine Wirkung auf sie, doch seine wesentlichen Eigenschaften wurden nie erwähnt. Alle schienen sich einzubilden, sie könnten Steve für sich beanspruchen – dabei wussten alle nur ein paar fadenscheinige Fakten über ihn. Er liebte Hockey. Er liebte Heineken. Softball war sein Ein und Alles. Sobald er Doo-Wop-Musik hörte, erwachten seine Lebensgeister. Bei einem gelungenen Wortspiel bog er sich vor Lachen. Alle kannten wir – und wiederholten – die liebgewordenen Geschichten von Steve. Wie er einmal die ganze Nacht durchtrank und dann wegen eines Beschleunigungsrennens mit ein paar Halbstarken in seinem roten 51er Chevy ans Ende von Long Island fuhr – der James Dean von Manhasset. Wir lachten über seine Standardsprüche. Fragte ihn jemand, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, vor allem am Ende eines Vierzehnstunden-Arbeitstags, erwiderte er ironisch: »Ich bin so reich, dass ich nicht arbeiten muss.« Fragte man ihn, was das Geheimnis beim Führen einer Kneipe sei, sagte er: »Die Leute gehen in eine Kneipe, weil sie schlecht behandelt werden wollen, und ich tu ihnen den Gefallen!« Und immer wenn ein Barmann fragte, ob seine neue Freundin umsonst trinken dürfe, antwortete Steve: »Sie muss sich erst noch ihre Sporen verdienen.«
    Doch mehr wussten wir nicht, und wenn man alles zusammenzählte, war es weit weniger als die Summe seiner Teile.
    Bei einer Diskussion über Steve hörte ich Onkel Charlie sagen, was ich immer vermutet hatte, dass nämlich das Aufschlussreichste an Steve sein Lächeln war. Sobald Steve ins Publicans trat, strahlte er sein Lächeln ab wie ein Geschenk. Den ganzen Tag warteten die Leute und sparten sich ihre komischen Geschichten für den Abend auf, brannten darauf, sie Steve zu erzählen, um mit seinem Lächeln bedacht zu werden. »Ich meine, es heißt nie: Oh Mann, da kommt der Boss«, erklärte Onkel Charlie. »Hier sagen alle: ›Hey, wo warst du so lange?‹«
    Ich legte erneut meine Theorie dar. Wenn es um die Aladin-Publicans-Metapher ging, war ich wie ein Hund mit Stöckchen. Ich erklärte Onkel Charlie, dass alle so stark auf Steve ansprachen, weil er Aladin war. Er gab den Menschen, was sie wollten.
    »Ich glaube nicht, dass Aladin die Wünsche erfüllt hat«, sagte Onkel Charlie zweifelnd und zupfte sich am Ohrläppchen. »Ich glaube, Aladin

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