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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Frau, die mich retten würde. Ich glaubte fest an die Bar und an meine Theorie. Und an Frauen.
    Doch Dalton hatte recht. Die Kneipe erfüllte keine Wünsche, sie stillte Bedürfnisse, und im Augenblick brauchte ich keine Frau, sondern einen Freund. Ein paar Tage später trat ein kräftiger Mann ins Publicans, grüßte niemanden und pflanzte sich neben den Zigarettenautomaten. Er war einen halben Meter größer als der Automat, die Schultern ein paar Zentimeter breiter. Ich schätzte ihn auf Ende Dreißig. Er bestellte einen Screwdriver, starrte ins Leere und suchte mit niemandem Augenkontakt, als gehörte er zum Secret Service und würde auf die Autoeskorte des Präsidenten warten. »Was ist das denn für ein Mamluke?«, flüsterte ich Onkel Charlie zu.
    »Mamluke«, sagte Onkel Charlie anerkennend. »Schönes Wort.« Ich gab ihm recht, obwohl ich nicht genau wusste, was es bedeutete. Onkel Charlie sah prüfend zum Zigarettenautomaten. »Ja klar, der ist dabei. Ordnungshüter. Bulle. New York Police Department. Hat sich gerade ein Haus am Fuß eines Hügels gekauft. Anständiger Kerl. Sehr anständiger Kerl.« Er senkte die Stimme. »Wird so einiges gemunkelt.«
    »Was denn?«
    »Darf ich nicht sagen. Ist aber ziemlich bizarr.«
    Der Mann kam herüber. »Hey Chas«, sagte er.
    »Ah, Bob the Cop«, sagte Onkel Charlie. »Darf ich dir meinen Neffen JR vorstellen.«
    Wir gaben uns die Hand. Onkel Charlie entschuldigte sich und verschwand in der Telefonkabine.
    »Mein Onkel sagt, Sie sind Polizist?«, wandte ich mich an Bob the Cop und merkte plötzlich, wie trocken mein Mund war.
    Er nickte, ein sehr sparsames Nicken, als würde er einem Kartengeber beim Siebzehnundvier zu verstehen geben, dass er noch eine will. »Welches Revier?«
    »Hafen.«
    Dann sagten wir beide eine geschlagene Minute lang nichts. »Und Sie?«, fragte er.
    Ich räusperte mich. »Ich bin Volontär.«
    Er runzelte die Stirn, doch ihn störte weniger meine Berufsbezeichnung. »Ich halte nicht besonders viel von Zeitungen«, sagte er.
    »Ach ja?«, sagte ich. »Und ich habe Angst vor Polizisten, dann sind wir ja füreinander geschaffen.«
    Keine Reaktion. Eine weitere Minute verstrich. Wieder räusperte ich mich.
    »Was missfällt Ihnen denn an Zeitungen?«, fragte ich.
    »Mein Name ist mal durch die Blätter gegeistert. War nicht sehr angenehm.«
    »Und warum standen Sie in der Zeitung?«
    »Lange Geschichte. Sie können ja mal nachschlagen.«
    Er ließ mich stehen, um eine Spende für den Don-Fonds abzugeben. Onkel Charlie kam zurück. »Dein Freund«, sagte ich zu ihm, »ist ziemlich kurz angebunden.«
    »Ein Mann von wenig Worten«, sagte Onkel Charlie.
    »Ein Mann von keinen Worten«, erwiderte ich.
    »Mir gefällt das. Die Leute reden sowieso zu viel.«
    Bob the Cop kam zurück. Ich lächelte. Er nicht.
    Es dauerte die halbe Nacht, bis mir einfiel, welchem Filmstar Bob the Cop ähnelte. (Ich hatte reichlich Zeit zum Nachdenken, da sich die Pausen für Minuten am Stück dehnten.) Und dann plötzlich wusste ich es – John Wayne. Es lag weniger am Gesicht als an Körperbau und Phrenologie. Er hatte Waynes Statur – diesen breiten hüftlosen Torso – und jenen übergroßen rechteckigen Kopf, der ausdrücklich für einen Cowboyhut gemacht schien. Würde man Bob the Cop einen Cowboyhut aufsetzen, überlegte ich, dann würde er wahrscheinlich nicht mit der Wimper zucken, sondern einfach nach oben greifen, an die Krempe tippen und sagen: »Howdy?« Selbst seine Haltung glich der von Wayne, jene leicht schwankende Pose, die ausdrückte: Dieses Fort werden alle Apachen der Welt nicht einnehmen. Ich rechnete schon halbwegs damit, dass er seinen Barhocker aufsattelte, bevor er sich drauf setzte.
    Immerhin gab dieser stille Mann an jenem Abend noch einiges von sich preis, nachdem er die richtige Alkoholmenge konsumiert hatte und ihm meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit sicher war. Er erzählte sogar einige der besten Geschichten, die ich im Publicans je gehört hatte.
    Bob the Cop liebte Geschichten, und er arbeitete im richtigen Bereich, um sie zu finden. Jeden Tag schwammen Geschichten am Bug seines Polizeibootes vorbei, besonders im Frühjahr, wenn sich das Wasser erwärmte und die Leichen an die Oberfläche ploppten wie Korken. Schwimmer nannte Bob the Cop sie. In den ersten milden Apriltagen, wenn alle an Wiedergeburt und Erneuerung dachten, musste Bob the Cop mit dem Enterhaken Leichen aus der dunklen Brühe fischen. Mordopfer, Lebensmüde,

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