Tender Bar
leichtsinnig wurde. Auf einen Tipp hin saßen zwei verdeckt arbeitende Beamte eine Woche lang am Tresen und beobachteten Onkel Charlie, der seine geschäftlichen Transaktionen lärmender tätigte als ein Warenhändler. Während er Drinks mixte, nahm er Wetten an, handelte Wetten aus, ging telefonieren. Am Wochenende kamen die beiden zu Opa nach Hause, diesmal in Uniform. Onkel Charlie lag auf dem zweihundertjährigen Sofa. Er sah sie den Weg hochkommen und empfing sie an der Fliegengittertür. »Wissen Sie, wer wir sind?«, fragte ein Cop durch die Tür.
»Klar«, erwiderte Onkel Charlie und zündete sich ruhig eine Zigarette an. »Scotch mit Soda, Seagram’s und Seven. Was gibt’s?«
In Handschellen führten sie ihn ab. In den folgenden Tagen quetschten sie Onkel Charlie nach den Namen seiner Bosse und Partner aus. Als sich herumsprach, dass er nichts sagte und er den Bullen nicht einen Namen preisgab, trafen die ersten Geschenke im Knast ein. Zigaretten, Zeitungen, Federkissen. Außerdem erschien ein teurer Anwalt, für dessen Dienste ein Gönner gezahlt hatte, der es vorzog, anonym zu bleiben. Der Anwalt erklärte den Cops, Onkel Charlie würde lieber sterben als mit ihnen kooperieren, und er überredete sie, die Anzeige von Glücksspiel auf Stadtstreicherei zu ändern. Als die Nachricht im Publicans ankam, lachten wir uns alle schlapp. Wegen Stadtstreicherei verhaftet zu werden und das in seinen eigenen vier Wänden, konnte wirklich nur Onkel Charlie passieren.
Ich wünschte, ich könnte sagen, Onkel Charlies Verhaftung hätte mich schockiert, wäre mir peinlich gewesen oder hätte mich um seine Sicherheit bangen lassen. Doch wenn überhaupt, war ich stolz darauf. Er kehrte als siegreicher Held in die Bar zurück, nachdem er in einer heiklen Situation Kraft und Härte bewiesen hatte, und dafür bewunderte ihn niemand mehr als ich. Mir machten die Gangster Sorgen, die Onkel Charlies Zinsen überwachten – die »seinen Schuldschein in der Hand hatten«, wie die Männer sagten – nicht aber die Polizei, denn ich glaubte an den Barmythos, der besagte, zwischen Polizei und Spielern finde ein Katz-und-Maus-Spiel statt, das keiner ernst nimmt. Mir war klar, dass mein Denken irgendwie verzerrt und mein Stolz auf Onkel Charlie fehl am Platz war, weshalb ich vermutlich meiner Mutter nichts von Onkel Charlies Verhaftung erzählte. Sie sollte sich weder um ihren jüngeren Bruder noch um mich sorgen.
Kurz nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis ging eine Veränderung in Onkel Charlie vor. Er spielte noch öfter, riskierte noch mehr, vielleicht weil ihm sein knappes Entkommen ein Gefühl der Unbesiegbarkeit gab. Zugleich verlor er auch mehr, und zwar so viel, dass er seine Verluste langsam ernst nehmen musste. In der Bar klagte er bitterlich über verschiedene Sportler und Trainer, deren Spielfehler und Schnitzer ihn an bestimmten Tagen viel Geld gekostet hatten. Er behauptete, ohne den Manager Tony LaRussa von Oakland könnte er sich in der Karibik zur Ruhe setzen. Ohne den Quarterback Dan Marino von Miami könnte er sich einen Ferrari kaufen. Im Kopf stellte er eine Liste von Athleten auf, die ihn in die Scheiße geritten hatten, darunter auch die Stadionsprecher, die seinen schwarzen Spielerschafen nicht genug Feuer unterm Hintern gemacht hatten.
Obwohl ich den genauen Umfang seiner Schulden nie erfuhr, waren seine einzelnen Verluste legendär. Colt erzählte mir, dass Onkel Charlie an einem Abend fünfzehntausend Dollar verlor, als er Liars’ Poker mit Fast Eddy spielte. Joey D sagte, Onkel Charlie sei süchtig nach sicheren Verlierern, »je sicherer, je tragischer, desto besser«. Cager bestätigte diese Theorie und erzählte von einer Nacht, in der Onkel Charlie durchblicken ließ, wie sehr ihn die Vorgabe des Spiels Nebraska-Kansas am Samstag »fasziniere«. Kansas bekam 69 Punkte Vorsprung. »Stell dir vor«, sagte Onkel Charlie zu Lager, »du setzt auf Kansas, und beim Anstoß liegst du 69:0 vorn.«
»Nein«, sagte Cager. »Ich würde die Finger davon lassen, Goose. Bei so einer Vorgabe ahnen die Quotenmacher bestimmt auch was, und wahrscheinlich wissen sie, dass Kansas nicht mal die Lacrosse-Mädchenmannschaft von St. Mary’s schlagen könnte – und zwar Unterstufen.«
Als Cager das nächste Mal in die Bar kam, stellte er die unvermeidliche Frage.
»Ich hab auf Kansas und die neunundsechzig Punkte gesetzt«, sagte Onkel Charlie und senkte den Kopf.
»Und?«
»Nebraska siebzig, Kansas
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