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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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empört, dass ich immer noch dastand.
    »Guten Tag«, sagte er.
    Ich ging mit einigen Volontären einen trinken. Wir zogen durch Midtown, lachten, machten uns über Redakteure lustig, malten uns aus, was wir mit ihren Sandwiches anstellen könnten. Wir kehrten im Rosie O’Grady’s ein, einer irischen Kneipe, die mich ein bisschen an das Publicans erinnerte, dann in einen Laden gegenüber der Times, eine Spelunke, in der Erdnussschalen auf dem Boden lagen und Männer an der Theke schliefen wie Babys in Hochstühlen.
    Ein Grummeln ging durch den Raum, als wir eintraten. »Was ist los?«, fragte ich den Barmann.
    »Leonard hat eben die vierte Runde gewonnen.«
    Er wies mit dem Kopf auf ein Radio über der Kasse. Bei dem ganzen Stress und Aufruhr wegen meines Namens hatte ich den Superfight völlig vergessen. Ich verabschiedete mich von meinen Mitvolontären und rannte zur Penn Station.
    Ich kam gerade ins Publicans, als Onkel Charlie von einem Kino in Syosset zurückkam, wo er, Colt und Bob the Cop den Kampf in einer Direktübertragung gesehen hatten. »Wer hat gewonnen?«, fragte ich.
    Onkel Charlie, das Gesicht von Schweiß überzogen, schüttelte den Kopf. »J.R.«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an, »das war der Jahrhundertkampf.«
    »Wer hat gewonnen?«
    »Vierhundert Millionen Menschen haben sich den Kampf angesehen«, sagte er. »Jede Berühmtheit der Welt saß am Ring. Chevy Chase. Bo Derek. Billy Crystal. Die Schlampe vom Denver-Clan.«
    »Linda Evans?«
    »Nein, die andere.«
    »Joan Collins.«
    »Ex-Frau von …?«
    »Anthony Newley.«
    »Guter Junge. Und dich dürfte besonders interessieren, dass Sinatra da war.«
    »Nein.«
    »Glaub mir, J.R., und keiner hat ihn bemerkt. Dieser Kampf war einfach zu fesselnd. Das Ganze war ein wüstes Volksfest. Wie die letzte Szene in Der Sieger.«
    Ein hohes Lob. Der Kampf am Ende von Der Sieger galt bei allen Männern im Publicans als der beste in der Filmgeschichte, besser als die Fights in Rocky, Wie ein wilder Stier, Der Unbeugsame oder Verdammt in alle Ewigkeit.
    Onkel Charlie setzte sich auf einen Barhocker und bestellte einen Wodka mit einem Schuss Cranberry, dazu einen Sambuca.
    »Wer hat gewonnen?«, fragte ich.
    »Hagler hat blaue Shorts an«, sagte er. »Leonard weiße mit roten Paspeln an der Seite und roten Quasten an den Schuhen. Sie sehen beide großartig aus. Eingeölt, 75 Kilo glänzende Muskelmasse, die Körper in Spitzenverfassung. Römische Gladiatoren. In der ersten Runde pirscht sich Hagler an Leonard ran, aber der tänzelt ihm davon. Wie Astaire. Nein, verdammt, verglichen mit Leonard hatte Astaire Klumpfüße. So einen leichtfüßigen Mann hast du noch nie gesehen. Hagler will das Schwein umbringen, aber da gibt’s ein Problem. Er kann ihn nicht finden. Leonard gleitet im Kreis herum, Hagler hinterher, und wenn Hagler stehen bleibt, bleibt Leonard auch stehen und verteilt eine federleichte Combo – Jab, Jab, Aufwärtshaken, Jab, dann tänzelt er davon. Wiedersehen. Würde ja gern bleiben und plaudern, aber – Jab, Jab – muss leider los. Bob the Cop und ich geben die erste Runde an Leonard, aber ich glaube, Colt gibt sie an Hagler. Colt. Verfluchter Colt.«
    »Wer hat gewonnen?«, fragte ich.
    »Zweite Runde geht wieder an Leonard, keine Frage. Er ist ein Genie, der Meister. Ein Künstler. Die Führhand, ein Jab, tänzeln. In der dritten Runde verliert Hagler langsam die Fassung. Er wird verrückt.«
    Onkel Charlie glitt von seinem Hocker und duckte sich in Boxerpose. Die Gäste verstummten in ihren Gesprächen, stellten ihre Gläser ab und wollten sehen, was er vorhatte.
    »Leonard quält Hagler«, sagte Onkel Charlie. »Führhand, Jab, rechte Auslage, linker Haken, dann federt er weg, und die ganze Zeit stichelt er mit Worten.«
    Onkel Charlie hielt seinen Schatten auf Distanz, verpasste ihm kurze Geraden und provozierte ihn, wobei ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel hing. Die Menge in der Bar sammelte sich langsam um Onkel Charlie und bildete einen Kreis.
    »Hagler greift an«, sagte Onkel Charlie, »aber Leonard ist die reinste Sprungfeder. Er hat einen Düsenrucksack auf wie Buck Rogers. Hagler hat sein Leben lang hierfür trainiert, aber Leonard hat dafür trainiert, Haglers Training zu unterminieren und ihn untauglich zu machen. Ich darf doch ›untauglich‹ sagen, oder?
    In der vierten Runde kontrolliert Leonard den Kampf, er ist seelenruhig und so locker, dass er von hinten ausholt, die Faust durch die Luft schwingt, der

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