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Tender Bar

Tender Bar

Titel: Tender Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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waren wir auch beide mit unseren Müttern in Konflikt geraten. Immer wieder vertrauten wir uns in jenem Sommer den Männern im Publicans an, und als betrieben sie eine Untergrundbahn für verlorene Söhne, versteckten sie uns nicht nur in der Kneipe, sondern nahmen uns mit ins Shea, zum Gilgo Beach, zu Steve mit nach Hause und vor allem nach Belmont, wo wir beim König von Belmont – Cager – einen Crashkurs im Königssport absolvierten.
    Lager liebte Pferderennen. Cager lebte für Pferderennen. Cager redete über Pferderennen in einer phantastischen Sprache, die McGraw und ich unheimlich gern gelernt hätten, und manchmal machte ich mir Notizen auf der Rückseite meines Wettscheins, um Cagers Vokabular festzuhalten, seinen Tonfall, die Stimme. »Siehst du den Trainer von der Fünf? Der versteht sich auf Zweijährige, darum steh ich auf die Fünf, vielleicht setz ich zwanzig auf sein Näschen, aber die Sieben, Mann, die startet mit 90 für 10, und das ist eine Traumquote für so einen schnellen Teufel. Nun sagt der kleine Rennfan in mir, nimm die Sieben, nimm die Sieben, aber dann seh ich mir die Morgenarbeit von der Vier an, und er lief 49 Sekunden, während wir uns noch von den Nachwirkungen der letzten Nacht im Publicans erholt haben, und das ist geflogen. Auf der andern Seite geht die Neun wahrscheinlich ab wie die Post, denn er hat’s gern weich, und ihr seht ja, es regnet schon wieder. Mit Glück gönnt er sich schon ein Budweiser an der Ziellinie, wenn die anderen Klepper gerade einlaufen. Gut. Ich denke also, ich mach eine Zweierwette zu zehn Dollar, mit Neun auf Sieg, Vier wird Zweiter, oder ich setze auf die Fünf und die Neun und setze zehn Dollar auf Sieg auf die Sieben. Was meint ihr, Jungs, auf zum Wettschalter, denn wie heißt es so schön: Die Rennbahn ist der einzige Ort, wo die Schalter die Leute ausknipsen!«
    Einmal kamen wir spät los, und MacGraw hatte Angst, wir könnten das erste Rennen verpassen. Am Eingang blieb Lager vor der riesigen Secretariat-Statue stehen, um seine Aufwartung zu machen. McGraw hopste von einem Fuß auf den anderen, als ob er mal müsse. »Das erste Rennen fängt jeden Moment an«, sagte McGraw. Cager, den Blick fest auf die Statue gerichtet, erklärte McGraw seelenruhig, es gäbe zwei Regeln, die jeder Pferdenarr beachten müsse, und die erste davon laute: »Hab es nie eilig, Geld zu verlieren.«
    »Und wie lautet die zweite?«, fragte McGraw.
    »Sorge immer dafür, dass dir am Ende des Tages genug für eine heiße Brezel bleibt.«
    Nach drei Rennen hatte Lager ein paar hundert Dollar gewonnen. McGraw und ich hatten hundert verloren. Wir beobachteten, wie Cager sein Geldbündel in die Brusttasche seines Hemds steckte. »Was hast du mit dem vielen Geld vor?«, fragte McGraw.
    »Investieren.«
    »Wirklich?«
    »Klar. In Budweiser.«
    Zwischen den Rennen stemmte Cager die Füße auf den Vordersitz und fragte, was wir mit unserem Leben anzufangen gedächten, nachdem unsere Mütter uns verschmäht hatten und unsere beruflichen Laufbahnen in den Sternen standen. Wir erzählten von Irland. Wir verrieten Cager von unserer Hoffnung, beim Pferderennen so viel zu gewinnen, dass es für die Pilgerfahrt ins Land unserer Abstammung reichte. »Und dann?«, fragte Cager. »Ihr könnt den Rest eures Lebens doch nicht im Pub verbringen. Moment – was hab ich da eben gesagt?«
    McGraw erklärte, er denke an ein Jurastudium, vielleicht auch an die Armee. Ich erwähnte den Yukon. Mir war zu Ohren gekommen, dass die Alaska Daily News Reporter suchte, und ich hatte meine Unterlagen hingeschickt. Der Herausgeber hatte mir einen aufmunternden Brief geschrieben. Cager schnellte nach vorn und musste aufpassen, dass ihm das Bier nicht durch die Nase lief. Dann prophezeite er mir sehr leise, dass ich im Yukon keine zehn Minuten durchhalten würde.
    Wir sahen zu, wie die Pferde in die Startmaschine geführt wurden. Die Jockeys, alle in einer Reihe über die Rücken ihrer Pferde gebeugt, sahen aus wie Hilfskellner an der Theke. Ich fragte Cager, ob er sich noch daran erinnerte, als Secretariat seinen spektakulären Sieg in Belmont lief. »Als wäre es heute Vormittag«, sagte er. »Ich war da.« Er beschrieb das Rennen, jede aufregende Achtelmeile, und obwohl ich Geschichten darüber gelesen und Filmausschnitte gesehen hatte, war Cagers Bericht unübertrefflich. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Er redete von Secretariat in dem ehrfürchtigen Ton, den er sonst nur zwei Menschen vorbehielt

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