Tenebra 1 - Dunkler Winter
beinahe beiläufig, als wäre das Gespräch nur von akademischem Interesse. »Die Zeichen der Kobolde sprechen dafür.«
Schwester Winterridge hielt im Packen ihrer Sachen inne. Auch sie stellte eine Traglast für sich zusammen.
»Kobolde lügen, Durchlaucht«, warf sie ein, dann wandte sie sich wieder dem Zusammenrollen ihrer Decken zu.
»Sie sagten selbst, dass es keine Geschöpfe des Dunkels seien«, sagte Hubert zu Silvus.
Der sah ihn nachdenklich an und zog an seinem Ziegenbart. »Nun ja«, meinte er. »Hoffen wir, dass es auch auf die Kobolde dieser Berge zutrifft.«
Wir luden die Dinge, die wir nicht tragen konnten, in den Karren, dann beluden wir uns mit den Traglasten und machten uns auf den Weg ins Innere des Berges.
Wir hatten nur die eine Öllampe, also mussten wir dicht zusammenbleiben. Nach einer Weile gewöhnten sich unsere Augen jedoch an die Dunkelheit, und selbst der Letzte in der Reihe konnte genug sehen, um in die Fußstapfen seines Vordermannes zu treten. Aber die Last der Dunkelheit jenseits dieses flackernden Lichtscheines drang von allen Seiten auf uns ein, so schwer, dass man es beinahe als eine dumpf brütende Gegenwart fühlen konnte. Ich fragte mich, ob dies nicht ein schlimmer Fehler sei, mit unserer winzigen armseligen Lampe in das Reich des Dunkels vorzudringen. Aber Silvus hielt die Lampe hoch, gab das Tempo an - und wir folgten.
Der Stollen war nur für eine Reihe im Gänsemarsch breit genug und folgte keiner festen Richtung. Schon nach zwanzig Schritten kam die äußere Höhle außer Sicht, und bald darauf mündete der Stollen in einen hohen und tiefen Spalt, dem der Weg auf einem Felsband über einem schwarzen Abgrund folgte. Am anderen Ende hing die Decke so tief, dass wir die Köpfe einziehen mussten, dann war eine Strecke mit ungeheurer Arbeit durch den nackten Fels geschlagen, und Stufen führten abwärts. Wir sahen einander an, unterdrückten unsere Zweifel und folgten ihnen hinunter. Am Fuß der ausgehauenen Stufen gelangten wir in einen größeren natürlichen Höhlenraum, von dem andere Stollen in zwei Richtungen weiterführten, aber an der Wand gegenüber sahen wir wieder die eingemeißelten Zeichen des Strahlenkranzes und des Keils, der nach rechts wies. Silvus markierte unseren Weg mit der Holzkohle und wir wanderten in der angezeigten Richtung weiter, tiefer in die Erde.
Manches war von unheimlicher Schönheit. Das flackernde Licht der Lampe hob glitzernde Quarzadern im Fels hervor, und verschiedentlich sah es aus, als seien Gesteinspartien geschliffen und poliert worden, um ihre Schönheit ganz zu zeigen, die bisweilen an den Lüster von Edelsteinen erinnerte: Olivion, Granat, Chrysopras. Vielleicht waren sie absichtlich bearbeitet und poliert worden, vielleicht war es das Werk jahreszeitlicher Wasserströme. Auch jetzt rieselte stellenweise Wasser von den Wänden und sammelte sich in Lachen am Boden. In den vom Stollen angeschnittenen Höhlen gab es weiße und gelbliche Stalagmiten und Stalagtiten wie versteinerte Springbrunnen, manche vom Wasser überrennen. Wenn wir von den Wasserlachen tranken, fanden wir, dass es einen Beigeschmack hatte, nicht unangenehm, aber metallisch und scharf.
Von Zeit zu Zeit passierten wir andere mögliche Wege, und einmal oder zweimal zögerten wir. Aber stets fand sich dann das Zeichen des Strahlenkranzes und des Keils an einer Wand, und wir folgten ihm sofort. Ein Weg war so gut wie jeder andere, und was blieb uns sonst übrig?
Und wir wurden still, weil die Räume und der Berg still waren, und mehr als still. Sie schluckten Geräusche, erstickten sie. Unsere Schritte trapsten und schleiften, und wir hörten sie laut in den Ohren, mit unserem Atem und dem Pulsschlag. Es war kein schweres Atmen, weil der Weg nicht schwierig war. Er beschrieb Windungen und stieg an und fiel ab, manchmal in Gefällstrecken, manchmal, wenn es steiler wurde, mit ausgehauenen Stufen. Bisweilen war der Stollen breit genug für zwei Personen, dann wieder so schmal, dass ein breitschultriger Mann sich seitwärts bewegen musste. Und immer führte der Gang weiter, sicher und zuverlässig wie eine Straße. Tatsächlich war er eine Straße; wir begingen einen Weg, den ungezählte andere Füße vor uns begangen hatten, weil die Stufen oft abgetreten waren, der Steinboden geglättet, die Kanten rundgeschliffen. Ich beobachtete die anderen. Sie schienen nach der Ruhepause eines Tages und einer Nacht frischer und erholt. Silvus sah weniger abgezehrt aus,
Weitere Kostenlose Bücher