Tentakel-Trilogie 3: Tentakelsturm
scheiterten, wussten beide nicht.
Sie verabschiedeten sich voneinander.
Leon wollte noch einmal nach seinen Leuten sehen, vor allem nach jenen, die sich nicht an den Kämpfen beteiligen wollten. Ihnen war ein Rastplatz außerhalb des Stadions zugewiesen worden, in einem verlassenen Mietshaus, das unter neuer Verwaltung stand. Als er vor das Gebäude trat, fielen ihm die beiden Dieselgeneratoren auf, die röhrend Strom erzeugten. Dicke Kabel führten ins Erdgeschoss, an dessen Wand ein großes, rotes Kreuz gezeichnet war; offenbar hatte man hier so etwas wie eine ambulante Arztpraxis eingerichtet. Leon musste zugeben, dass seine größte Sorge in den vergangenen Wochen die medizinische Versorgung seiner Leute gewesen war.
Als er zwei sich gelassen unterhaltende Krankenschwestern in tadellosen weißen Uniformen sah, die das Gebäude verließen, empfand er unmittelbar eine gewisse Beruhigung – und die Gewissheit, dass er letztlich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
»Leon?«
Er drehte sich um und sah in das Gesicht von Sebastian. Wortlos ging er auf ihn zu und umarmte ihn. Sebastian trug eine Uniform und sah gealtert aus, aber er hielt sich aufrecht und strahlte eine Dynamik aus, die Leon vorher an seinem alten Kollegen nicht festgestellt hatte.
»Es tut gut, dich wiederzusehen«, sagte Leon schließlich. »Ich will gar nicht fragen, wie es dir ergangen ist, denn ich befürchte, dass deine Geschichte nicht viel anders als die meine sein wird. Aber ich bin froh, dass du es bis hierher geschafft hast.«
Sebastian lächelte. »Von dir hört man nur gute Dinge. Als Festus erstmals von der Existenz deiner Gruppe erzählt hatte und dein Name fiel, habe ich sofort für dich gebürgt. Wie geht es Carla?«
»Ausgezeichnet, wir haben es zusammen so weit geschafft. Ich vermute, du wirst dich an dem Angriff auch beteiligen?«
Sebastian verzog sein Gesicht. »Sie haben mich sogar zu einem der Unterkommandanten gemacht. Aber ich will mich nicht beklagen. Die Aussicht, dass wir den Dreckswürmern mal mächtig in den Hintern treten können, erfreut mich mehr als alles andere. Es wird Zeit, dass wir zurückzahlen und einige Rechnungen begleichen.«
»Ich kann dir nicht widersprechen. Hast du etwas von Dan gehört?«
Sebastian schüttelte den Kopf. »Nachdem wir alle gekündigt hatten, habe ich ihn aus den Augen verloren. Er hatte vor, irgendwo aufs Land zu ziehen, wo seine Familie noch ein altes Haus hat, in der Hoffnung, die Tentakel würden ihn dort nicht so bald kriegen.«
»Wahrscheinlich nicht die dümmste Idee«, mutmaßte Leon und erinnerte sich an seine eigenen Pläne, die in eine ähnliche Richtung gegangen waren. »Ich hoffe, dass er es geschafft hat. Bist du gleich auf der Besprechung?«
»Selbstverständlich. Hat man deine Leute dort untergebracht?«
Sebastian wies auf das Mietshaus.
»Ja, ich will nur kurz nach ihnen sehen.«
»Ich werde hier draußen auf dich warten. Dann können wir gemeinsam durch die Gegend ziehen und ich kann dir etwas von dem zeigen, was die Leute hier wieder aufgebaut haben. Ganz schön beeindruckend.«
Leon zeigte auf das große, rote Kreuz an der Wand. »Das da beeindruckt mich jetzt schon.«
Sebastian grinste.
Leon stieg die Stufen eines sauberen Treppenhauses empor. Zwei spielende Kinder kamen ihm entgegen und sausten an ihm vorbei. Für einen Moment stellte sich ein seltsames Gefühl der Normalität ein, wie es Leon schon seit geraumer Zeit nicht mehr empfunden hatte. Sicher, er hatte sich an das Leben als Flüchtling gewöhnt und auch das hatte schließlich so etwas wie Normalität bedeutet. Aber dieser kurze Augenblick hier im Treppenhaus erinnerte ihn an eine Vergangenheit, in der trotz aller Klagen und Probleme manche Dinge eben so gewesen sind, wie sie waren, nicht weiter hinterfragt, von einer tiefen, allumfassenden und scheinbar unverrückbaren Selbstverständlichkeit. Es war dieser Moment, in dem Leon so richtig bewusst wurde, was die Invasion ihnen allen genommen hatte und welche tiefgreifende Veränderung all ihrer Existenz sie bedeutete. Es sagte sich manchmal leicht, dass die Welt aus ihren Fugen geraten war. Doch eine solche Aussage nahm immer noch an, dass es Fugen gab, eine stützende, ordnende Kraft, in die man letztlich zurückkehren konnte. Doch die Tentakel hatten alles darangesetzt, auch diese Fugen zu zerstören, sodass sich Leon gar nicht einmal mehr sicher war – weitaus weniger als Festus etwa –, zu welcher Art von Ordnung man eigentlich
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