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Tentakelwacht

Tentakelwacht

Titel: Tentakelwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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unausgesprochenen Pakt, und er funktionierte gut.
    Ein wesentlicher Grund dafür, dass Robys Taktik aufging, hieß Stettelson, einer der anderen Caporale auf Zeit. Stettelson war ein Sadist, ein Schleifer, ein Choleriker, ohne jedes Mitgefühl oder jegliche Rücksicht. Er mochte seinen Elektrostab. Der Akku war an seinen besten Tagen schon mittags leer und seine Gruppe bekam nur deswegen eine Verschnaufpause, weil er ihn zum Aufladen bringen musste.
    Stettelson präsentierte das exakte Beispiel dessen, was passieren konnte, wenn man Robys Spiel nicht spielen wollte. Niemand war sich sicher, warum man diesen Typen überhaupt zum Caporal ernannt hatte. Er war weder besonders sportlich noch besonders intelligent und er hatte keine formale Bildung genossen. Seine Karriere als Krimineller war nach allem, was man so hörte, weitaus facettenreicher und brutaler gewesen als die der meisten anderen Delinquenten. Vielleicht war Letzteres exakt der Grund.
    Zumindest stellte das Beispiel Stettelson eine permanente Warnung dar, die Roby sehr half.
    Zu den Männern der eigenen Gruppe hatte er schnell ein gutes Verhältnis. Es dauerte keinen Monat, und sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft, viel mehr noch als die Bande, in der Roby vor seiner Militärkarriere gelebt hatte. Man hatte viele gemeinsame Feinde und wenig, auf das man sich verlassen konnte – außer sich selbst. Das schweißte zusammen. Das machte effektiv. Anstatt sich den Beleidigungen und Strafen der Ausbilder auszusetzen, gewann man bei Übungen und Tests. Anstatt sich unwürdigen Ritualen auszuliefern, beschützte man sich gegenseitig vor Schaden oder unterstützte sich bei schwierigen Aufgaben. Geschrei wurde zur Makulatur, da jeder wusste, wie Roby wirklich dachte und handelte, wenn es hart auf hart kam.
    Und so kam es, dass seine Gruppe beim Vergleichsranking der Ausbilder die Dauerposition auf Platz 1 innehatte. Es gab eine große Anzeigetafel in der Kantine. Für alle Übungen und Tests wurden Punkte vergeben, und Robys Gruppe lag mit uneinholbarem Vorsprung auf dem ersten Rang. Roby war sich im Klaren darüber, dass dies exakt das war, was die Ausbildungsmaschinerie von ihnen erwartet hatte. Sie waren unbewusst und gezwungen zu Musterschülern geworden, die verstanden hatten, worum es ging und wie man Herausforderungen meisterte. Roby und seine Leute, das wurde ihm zunehmend klar, waren dem System auf den Leim gegangen. Es gab Momente, in denen er nach Alternativen suchte. Es war kein schönes Gefühl, plötzlich dazu verleitet worden zu sein, ein perfektes Rädchen in einer unbarmherzigen Maschinerie zu sein. Das Bedürfnis, auszubrechen oder zumindest irgendeinen Kontrapunkt zu setzen, war manchmal sehr groß, ja überwältigend. Doch dann sah er, wie die Männer unter einem brutalen Schleifer wie Stettelson litten, und er sah, wie die Ausbilder die schlechteren Leistungen der anderen Gruppen mit Extradiensten und Schikanen honorierten. Als seine eigenen Männer für ihre Leistungen einen kompletten Sonntag dienstfrei erhielten, war Roby klar geworden, dass ihnen schlicht keine andere Wahl blieb. Wenn sie etwas tun würden, was gegen die Intention des Systems lief, wären die Konsequenzen gravierend und niemandem wäre gedient. Sie waren keine Revolutionäre. Sie wollten schlicht überleben.
    Nach gut vier Monaten hatte er sich so weit in seiner Rolle eingerichtet. Seine Männer folgten ihm. Wurde er bei Übungen zum Kommandanten über alle Rekruten ernannt, liefen diese glatt ab, und der Respekt, der ihm entgegengebracht wurde, tat durchaus gut. Der nagende Zweifel und das dumpfe Gefühl, Erfüllungsgehilfe, Büttel eines Systems zu sein, dessen Ziele er nicht teilte und dessen Sinn er nicht einsah, blieben jedoch. Roby kam zu dem Schluss, dass er sich anscheinend so etwas wie ein Gewissen bewahrt hatte, und er war sich nicht einmal sicher, ob das etwas Gutes war.
    So verging die Zeit. Man gewöhnte sich an alles.
    Dinge renkten sich ein. Rollen wurden abgesteckt. Es gab Momente, da fühlte Roby sich nicht halb so kontrolliert und eingeengt, wie er sich fühlen sollte. Daran merkte er, wie gut das System darin war, ihn zu integrieren, den Rebellischen, den Kriminellen.
    Geregelte Abläufe halfen. Sie gaben Sicherheit, Berechenbarkeit.
    Bis dann die relative Monotonie des Ausbildungsalltags eines Tages ein sehr plötzliches Ende fand. Und all die Fragen, die sich Roby immer wieder vorgelegt hatte, standen wieder klar im Raum.
    Es war der Tag, an dem

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