Tentakelwacht
durchaus auch zu dieser Kategorie gehörte. Und er wusste, was von ihm erwartet wurde.
Eine großartige Chance zur Bewährung, in der Tat.
Dieses kümmerliche Etwas vor ihm hatte nichts anderes getan als Roby selbst. Die gleiche Motivation, die gleiche Verzweiflung, die gleiche Hilflosigkeit. Nur hatte Carl den Falschen erwischt. Und dafür musste er nun sterben, und das durch Robys Hand.
Roby vermutete, dass das wieder ein Test war, um das tolle Potenzial zu wecken, das General Harris offensichtlich in ihm sah. Das nötige Maß an Grausamkeit zu zeigen, die Bereitschaft, Disziplin durchzusetzen, all dieser Blödsinn. Die Feuerprobe, mit deren Bestehen Roby endgültig beweisen würde, für Höheres bestimmt zu sein. Aber Roby hatte kein Interesse daran, dafür jemanden umzubringen, der in seinen Augen nicht mehr getan hatte, als sich zu verteidigen.
Roby war kein Weichei. Niemand, der auf der Straße aufwuchs, konnte es sich leisten, zu zimperlich zu sein. Es hieß oft genug: er oder ich.
Aber das hier gehörte nicht dazu. Das war eine völlig sinnlose Exekution. So viel Gerechtigkeitsempfinden hatte er noch, so viel Rest an Gewissen hatte er sich bewahrt, um das gut erkennen zu können. Er hielt die Waffe in Händen, und obgleich nur Sekunden vergingen, spulte sich eine Vielzahl von Überlegungen in seinem Kopf ab. Was würde passieren, wenn er diesen eindeutigen Befehl verweigern würde? Jemand anders würde den armen Wicht umbringen, und er selbst … er selbst würde ganz sicher bestraft werden, vielleicht nicht gleich mit dem Tode, aber ganz sicher auf eine sehr unangenehme Art und Weise. Roby überlegte sich, ob es ihm die Sache wert war. Er musste seinen Weg wählen. Es war eine sekundenschnelle Entscheidung.
Er ließ den Arm mit der Waffe sinken, blickte auf, direkt in das Gesicht des Ausbilders und schüttelte den Kopf. Er reichte ihm die Waffe, Griff voran, und machte einen Schritt zurück.
Der Ausbilder nahm die Waffe mit den Ausdruck größter Verachtung entgegen. Er drehte sie in seiner Hand um.
Der Delinquent starrte Roby an, mit einem winzigen Schimmer Hoffnung in den Augen.
Der Ausbilder hob die Waffe und wandte sich den wartenden Rekruten zu.
»Feigheit und Befehlsverweigerung«, brüllte er ihnen entgegen. »Das ist fast genauso schlimm wie Mord. Auf dem Schlachtfeld ist es exakt das Gleiche!«
Der Delinquent stieß ein Wimmern aus. Er ahnte, genauso wie Roby, was jetzt geschehen würde. Tiefe Hilflosigkeit machte sich in Roby breit. Vor der letzten möglichen Tat, sich auch diesem Ausbilder entgegenzuwerfen, schreckte er zurück, nicht nur, weil es sein eigenes sicheres Ende bedeutet hätte.
Der Ausbilder hob die Waffe und richtete die Mündung auf sein Opfer. Der Rekrut zitterte am ganzen Leib. Zwischen seinen Beinen breitete sich Feuchtigkeit aus.
Dann kam das Geräusch.
Es war ein Alarm, aber keiner, den sie je gehört hatten.
Es war ein ganz eigener Ton, durchdringend, aufrüttelnd, ein Geräusch, das einen am Herzen ergriff und den Körper durchschüttelte.
Er hatte noch nie einen Ausbilder verwirrt gesehen. Das eben noch wütende Gesicht zeigte Verständnislosigkeit und dann ein sich abzeichnendes Erkennen, gefolgt von … Angst.
Die Männer sahen sich an. Niemand wusste, was zu tun war.
Der Ausbilder senkte die Waffe, schaute sich um, blickte in Richtung des Verwaltungsgebäudes, und wie auf Befehl ertönte die blecherne Stimme von General Harris aus den Lautsprechern.
»Dies ist keine Übung! Dies ist keine Übung! «
Roby hätte auch nicht gewusst, was für eine. Alle hörten gebannt zu, selbst die Ausbilder, die aber zu ahnen schienen, was jetzt kam.
»Soeben wurde der Invasionsalarm ausgelöst. Ich wiederhole: Soeben wurde der systemweite Invasionsalarm ausgelöst. Die Außenstationen haben eine Ortung bestätigt. Alle Einheiten befinden sich ab sofort in Alarmbereitschaft. Einsatzplan Alpha wird aktiviert. Alle Einheiten begeben sich in die Unterkünfte und machen sich abmarschbereit. Der Dienstplan ist aufgehoben. Alle Einheiten sind abmarschbereit in einer Stunde Normzeit.«
Die blecherne Stimme verklang.
Für einen Moment herrschte Stille auf dem großen Platz. Die Ausbilder warfen sich Blicke zu. Der Rest war einfach hilflos.
»Los! Los!«, brüllte dann der erste der Unteroffiziere. »Ihr habt den General gehört! Abmarschbereit in einer Stunde! In die Unterkünfte! Alles zusammenpacken! Appell in 45 Minuten. Wer trödelt, wird erschossen!«
Und um seinen
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