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Tentakelwacht

Tentakelwacht

Titel: Tentakelwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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es war vielmehr ein hoch komprimiertes Gas, das stoßweise aus der Mündung geschossen werden konnte, um den notwendigen Antrieb für Richtungsänderungen zu erhalten. Das Handbuch, das sich in jedem Schrank fand, sagte aus, dass die Pistole genug Treibsatz für zwanzig zwei Sekunden andauernde Auslöser hatte.
    Slap überlegte sich, was wohl passieren würde, wenn man die Mündung dieser Pistole, mit einer hohlen Spitze versehen, in den Bauch des Angreifers rammen und dann den Treibsatz auslösen würde. Für einen Moment gestattete sich Slap dieses Bild, wie er Estevez den Lauf in den Hintern steckte und abdrückte. Eine sehr zufriedenstellende Fantasie, wie er meinte.
    Er nahm die Pistole heraus und steckte sie ein.
    Wenige Augenblicke später war er in seiner Unterkunft angekommen. Er beantwortete die Fragen seiner Kameraden über den Zustand des neuesten Opfers einsilbig und erweckte den Eindruck, dass ihn dies zu sehr an sein eigenes Schicksal erinnere. Man ließ ihn dann in Ruhe. Slap betrachtete seine Ausrüstung. Ihm fiel dabei ein Stift ins Auge, der mit einer auf Plastik haftenden Tinte gefüllt war. Hin und wieder bekamen sie Unterrichtsstunden über die Struktur der Streitkräfte und ähnliche allgemeine Inhalte, und bei diesen wurden sie aufgefordert, sich Notizen zu machen. Dafür bekamen sie Folienblöcke. Man vermied weiterhin, den Rekruten eigene Tabs oder Tablets zu geben, damit nicht eines der Genies sich doch irgendwo einhackte. Also Folien.
    Slap hatte ein altes Tablet ins Militärleben gerettet. Auf dieser Reise aber blieb es zusammen mit seinem spärlichen Gepäck unter Verschluss. Er hoffte, dass er es bald wieder unter den Fingern haben würde. Ohne fühlte er sich nur wie ein halber Mensch.
    Mit einer schnellen, entschiedenen Bewegung hatte Slap den Stift in zwei Teile gebrochen. Er ließ die Tinte abtropfen und fingerte die zerbrochene Tintenkammer heraus. An dieser war, wie er erwartet hatte, die Schreibspitze festgemacht, sodass er jetzt eine Röhre hatte. Der hintere Teil mit dem größeren Durchmesser passte fast genau auf die Mündung der Druckluftpistole. Es gab Klebeband, damit konnte er sie festmachen. Die Spitze war etwas zu rund, um ernsthaft als Waffe zu fungieren. Es dauerte eine Weile, bis es Slap gelungen war, ein kleines Stück von der Spitze abzubrechen, sodass eine zackige Plastiköffnung übrig blieb.
    Slap war zufrieden. Er fühlte sich jetzt nicht mehr wehrlos. Und er war entschlossen, sich zu verteidigen, egal, welche Konsequenzen dies haben würde. Aber ein zweites Mal ein hilfloses Opfer von Estevez zu sein, das würde so nicht mehr passieren.
    Er verbarg die Druckluftpistole so gut, wie es ihm möglich war. Er wollte schnell an sie herankommen. Es würde beim nächsten Mal um wenige Augenblicke gehen.
    Er hoffte durchaus, seine neue Waffe niemals einsetzen zu müssen.
    Er war aber bereit, es dennoch zu tun.
        
     

12
     
    »Es ist eine großartige Chance zur Bewährung für Sie, Caporal!«
    Der Ausbilder – sie hatten ja alle Namen, aber seit dem Vorfall mit dem Mann, den Roby getötet hatte, verschwammen diese aus irgendeinem Grunde in seinem Kopf – hielt ihm den Knauf der Waffe hin. »Tun Sie Ihre Pflicht!«, sagte er dann noch.
    Roby nahm die Waffe. Seine Hand zitterte.
    Es war früher Morgen. Der Exerzierplatz schimmerte, denn es hatte fast die ganze Nacht geregnet. Alle Rekruten standen da, Reihe hinter Reihe, leise und steif.
    Einer stand nicht. Er hockte vor Roby auf dem Boden. An seinen Namen konnte sich Roby erst nicht richtig erinnern. Irgendwas wie Carl, glaubte er. Der Rekrut saß auf dem Boden, den Kopf gesenkt. Es war heute Morgen bekannt gegeben worden, dass er derjenige gewesen sein sollte, der Stettelson umgebracht habe. Carl war aus seiner Gruppe, ein eher schmächtiger Typ, dem man so einen wilden und brutalen Angriff gar nicht zugetraut hätte. Doch die Mischung aus Videoaufzeichnungen und den Ergebnissen eines DNA-Tests hatten offenbar eindeutige Beweise erbracht. Carl war der Täter.
    Im Gegensatz zu dem Mann, den Roby umgebracht hatte, und dessen Tod aufgrund seiner Herkunft für das Militär mehr unter Sachbeschädigung fiel, war Stettelson ein »richtiger« Mensch gewesen, ein Vorgesetzter, ein Caporal. Es gab diesbezüglich recht eindeutige Regelungen. Und da alle hier Delinquenten waren, war nicht einmal ein ordentlicher Militärprozess notwendig. Abschaum tötete Abschaum, das war die herrschende Maxime. Roby wusste, dass er

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