Tentakelwacht
gewesen. Niemand hatte erwartet, dass Slap jemals jemanden tötete. Auch Slap selbst nicht.
Jetzt hatte er es getan und er fühlte … Nichts. Gar nichts.
Slap war darüber beunruhigt. Das war eine Seite an ihm, die er überhaupt nicht kannte. Er hielt sich nicht für einen emotionslosen, kalten Klotz, hatte diese Rolle auch nie gespielt. Doch er suchte nach Gefühlen, die er erwartet hatte, und fand sie nicht. Eine leise Sorge war da, vor allem in Bezug auf seine Zukunft, und diese mochte sich irgendwann zu Furcht destillieren.
Aber die Tatsache, dass er vor einigen Stunden einen Menschen auf reichlich spektakuläre Weise aus dem Leben gerissen hatte, beeindruckte ihn nicht.
Er würde sich später mit dieser Tatsache auseinandersetzen müssen.
Seine Routine in der Haft war eintönig. Niemand sprach viel mit ihm. Es gab keine Verhöre. Für Slap wurde damit immer klarer, dass er seiner Nemesis auf dem Mars entgegentreten würde.
Auf diese Weise vergingen die Stunden und Tage, bis ein Zittern durch den Leib des alten Raumschiffes fuhr, und Slap vermutete, dass sie in die Umlaufbahn des Mars eingetreten waren. Es dauerte nicht lange, dann tauchten die Soldaten vor seiner Zelle auf, legten ihm Handschellen an und führten ihn in den Hangar zum wartenden Shuttle. Auch die anderen Controller-Rekruten waren da. Nicht alle wollten ihn anschauen, aber einige nickte ihm zu, als ob sie ihm Mut machen wollten. Estevez war nirgends zu sehen.
Der Flug mit der Raumfähre war kurz und ereignislos. Der Eintritt in die dünne Marsatmosphäre verlief unspektakulär. Die Terraforming-Generatoren liefen seit der ersten Tentakelinvasion auf Höchstleistung, denn auf der Erde wurde es trotz des Bevölkerungseinbruches während der Kämpfe wieder eng. In der Vergangenheit hatte man sich nicht allzu stark auf das Terraforming konzentriert, da man genügend Kolonien zum Verteilen des Bevölkerungsdrucks gehabt hatte. Seit die Irdische Sphäre aber auf das eigene Sonnensystem zusammengeschrumpft war, wurde der Mars plötzlich wieder attraktiv. Die gigantischen, röhrenförmigen Atmosphärengeneratoren, die mit ihren weitverzweigten, metallenen Wurzeln den Mars unterpflügten, waren jedem Schulkind bekannt. Sie wandelten die Atmosphäre um, reicherten den Boden um Mineralstoffe und organische Substanzen an, Mikroben und Bakterien, und erschufen auf die Art eine neue Ökologie. Die Dichte der Atmosphäre hatte bereits messbar zugenommen, der Sauerstoffanteil hatte sich erhöht und es gab um die Generatoren herum zarten Pflanzenwuchs, meist auf niedrigem Komplexitätsgrad. Die Menschen lebten aber immer noch in den drei großen und ständig wuchernden Kuppelstädten, was trotz aller Baumaßnahmen die Gesamtbevölkerung des Roten Planeten auf nicht mehr als runde 25 Millionen Menschen hatte ansteigen lassen. Davon waren die Hälfte mehr oder weniger direkt mit dem Militär verbandelt. Slap erhaschte einen Blick auf den zentralen Flottenraumhafen in der Nähe von Olympic City, der größten der drei Kuppelstädte, die zusammen mit ihren »Vororten« etwa sieben Millionen Einwohner hatte, oberirdisch wie unterirdisch. Sie lag rund 200 Kilometer vom größten Berg des Sonnensystems entfernt, dem Olympus Mons, den man bei fast jedem Wetter in seiner ganzen Majestät gut von der Stadt aus erkennen konnte.
Slap hatte sich immer ausgemalt, auf dem Mars zu leben. Es war der einzige Ort, von dem ein junger Mann träumen konnte, dem die engen Straßen eines Slums zu bedrohlich wurden und der sich eine Perspektive, einen Neuanfang wünschte. Die Tatsache, dass er jetzt in Handschellen am Ziel seiner Träume ankam, bewies den weisen Ratschlag, dass man mit seinen Wünschen sehr sehr vorsichtig sein sollte – denn sie könnten sich erfüllen.
Gegen seinen Willen musste Slap grinsen, als die Fähre zum Landeanflug überging. Einige seiner Mitreisenden bemerkten es und guckten komisch.
Das war ihm jetzt auch egal.
Die Landung verlief unspektakulär. Die Fähre setzte weich auf und rollte aus. Das Raumfahrzeug kam direkt vor einem Andocktunnel zum Stehen, durch den sie in das Abfertigungsgebäude gelangten. In einem schäbigen Warteraum wurden sie empfangen: die Rekruten durch einen Offizier, der sie sofort in Richtung eines bereitstehenden Mannschaftstransporters führte, sowie Slap durch zwei finster dreinblickende Militärpolizisten, die ihn allerdings ohne unnötige Brutalität in Gewahrsam nahmen und abführten. Der Weg war nicht weit und endete
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