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Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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ungelöst.
    »Das erklärt allerdings nicht«, sagte er, »wie bestimmte Merkmale eingefroren und wieder aufgetaut werden. Wollen Sie damit etwa sagen, dass die Vorfahren dieser Pflanzen wussten, dass sie ein spektakuläres und effektives Verteidigungssystem entwickelt hatten, sodass sie gezielt eine Kopie der Gene ablegten, falls sie sich ein paar Millionen Jahre später noch einmal als brauchbar erweisen sollten?«
    Grant lächelte und ließ sich nicht provozieren. »Wahrscheinlich geht es eher darum, dass die Gene, die am längsten überdauern, die größte Chance haben, irgendwann kopiert zu werden, womit sich ihre Chance verbessert, im inaktiven Zustand zu überleben.«
    »Und die Mimikry? Die Symbiose? Wie kann es zu solchen Synchronismen kommen?«
    »Das weiß ich auch nicht.«
    Sie kämpften sich weiter. Prabir wartete auf ein plötzliches Wiedererkennen, auf den Anblick eines alten knorrigen Baumes oder eines Felsens, der seiner Erinnerung einen stärkeren Anstoß gab als der Strand. Diese Seite der Insel hatte er vollständig erkundet; hier gab es keinen Fußbreit, den er nicht schon mindestens einmal betreten hatte. Aber zu viel hatte sich verändert. Obwohl es anscheinend immer noch dieselben Bäume waren, gab es keine Farne und keine der kleinen Blumen mehr, die den Boden bedeckt hatten, sondern nur noch die fleischfressenden Orchideen, die sie bereits auf den anderen Inseln gesehen hatten, und die allgegenwärtigen Stacheldrahtsträucher. Selbst der Geruch des Dschungels war ihm fremd. Es war, als würde man in eine Stadt zurückkehren, um festzustellen, dass sie neu gepflastert und angestrichen worden war, während sie anstelle der alten Bewohner nun von Fremden bevölkert wurde, die ihre andersartigen Sitten und Küchengerüche mitgebracht hatten. Der renovierte Kolonialbaustil Ambons war ihm wesentlich vertrauter als das hier vorgekommen.
    Die schwarzen Kakadus lebten auch hier. Prabir stand reglos da und betrachtete einen Vogel eine halbe Stunde lang, während Grant eine Orchidee sezierte.
    Der Vogel saß auf einem Kanaribaum. Mit Hilfe der Zähne biss er einen dünnen Ast ab, an dessen Zweigen ein halbes Dutzend weißer Blüten saßen, die bereits Früchte angesetzt hatten. All das fiel dem Vogel vor die Füße, auf den großen, festen Ast, auf dem er hockte. Dann widmete er sich einer Frucht und nagte die ledrige Schale auf, die noch nicht reif genug war, um aufzuplatzen und die Samen, die Mandeln, zu Boden fallen zu lassen.
    Grant trat neugierig zu ihm. Prabir beschrieb ihr, was er bislang beobachtet hatte. Der Vogel hatte eine Mandel aus der Frucht geholt und setzte einen noch komplexeren Verhaltensablauf ein, um die harte Schale zu knacken.
    »Dieser Teil ist ein alter Hut«, sagte sie. »Ein berühmtes Beispiel der Spezialisierung auf eine Nahrungsquelle.« Der Vogel hatte einen Teil der Schale weggebrochen und hielt die Nuss nun mit einem Fuß fest, während er den scharfen, gekrümmten Teil des oberen Schnabels benutzte, um Teile aus dem Kern zu reißen. Seine Zunge, die wie ein langstieliger Stempel aus rosafarbenem und schwarzem Gummi geformt war, schoss immer wieder heraus, um die Fragmente in den Schlund zu befördern. »Dass er es mit unreifen Früchten macht, ist allerdings neu.«
    »Damit er nicht warten muss, bis die Nüsse herabgefallen sind. Was bedeutet, dass die Zähne ihm helfen, sich vom Boden fernzuhalten.«
    »So sieht es aus«, gab Grant zu. »Aber es sind zahllose Gründe denkbar, warum das in der Vergangenheit eine gute Idee gewesen sein könnte. Dazu ist keine Koevolution mit den Ameisen nötig.«
    Prabir drehte sich zu ihr um. »Wenn Sie auf diese Insel kommen würden und keine Ahnung von ihrer Naturgeschichte und der normalen Fauna dieser Region hätten – wenn sie aus heiterem Himmel im Zustand totaler Unwissenheit in diese Hemisphäre versetzt worden wären – wie würden Sie sich dann erklären, was hier geschieht?«
    »Das ist eine blöde Frage.«
    »Tun Sie mir den Gefallen.«
    »Warum? Welchen Sinn sollte es haben, die Fakten zu ignorieren?«
    Prabir schüttelte ernst den Kopf. »Das verlange ich gar nicht von Ihnen. Ich möchte nur, dass Sie die ganze Situation aus einer neuen Perspektive betrachten. Wenn Sie erst vor wenigen Augenblicken von den isolierten Britischen Inseln eingetroffen wären, mit einer gründlichen theoretischen Ausbildung in Evolutionsbiologie, aber seit tausend Jahren ohne Kontakt mit der Welt östlich von Calais, welche Schlussfolgerungen

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