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Teranesia

Titel: Teranesia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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kontrollierte? Was mit Grant geschehen war, bewies gar nichts, außer dass starke Gefühle eine Barriere durchbrechen konnten, die er zuvor für unüberwindlich gehalten hatte.
    Es bewies nicht, dass das São-Paulo-Gen daran arbeitete, sie niederzureißen.
    *
    Als später am Abend die Bewacher ausgewechselt wurden, tauchte Colonel Aslan auf dem mondbeschienenen Strand auf. Prabir stand am Kabinenfenster und beobachtete ihn. Sie beide wollten dasselbe: dass das São-Paulo-Gen eingedämmt wurde, dass die Gefahr für andere Menschen minimiert wurde, selbst wenn sich das Gen selbst nicht eliminieren ließ. Das Problem war nur, dass Prabir immer noch hoffte, er würde auf der richtigen Seite landen, wenn die Missbildungen eingeäschert wurden, aber es könnte sein, dass der Colonel bei der Beurteilung dieser Dinge andere Kriterien als Prabir anlegte.
    »Wir beten für Sie«, rief Aslan. »Wenn Sie bereuen, wird Ihnen vergeben. Sie werden geheilt.«
    »Wenn ich was bereue?«, gab Prabir verärgert zurück.
    Aslan schien es Vergnügen zu bereiten, die Annahme zu widerlegen, er hätte nur eine Sache im Kopf. »All Ihre Sünden.«
    Auf Prabirs Armen bildete sich eine Gänsehaut. Wie mochte es sein, wenn man an einen so korrupten Gott glaubte? Aber wenn seine Eltern in einen Wattebausch-Himmel entschwebt wären, hätte es erheblich weniger zu verzeihen gegeben. Lügen über den Tod waren die einzige Möglichkeit, wie sich die komplexen Psychosen am Leben erhalten konnten; all die milchgesichtigen christlichen Sekten, die von dieser Hauptlinie abwichen und der Sterblichkeit mit einem Quentchen Aufrichtigkeit begegneten, waren dazu verdammt, nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden.
    Er rief zurück: »Was geschah mit den Fischern? Wurde ihnen vergeben? Wurden sie geheilt?«
    »Das können sie allein mit Gott ausmachen«, antwortete Aslan.
    »Ich will wissen, welche Verbrechen sie begangen haben und wie sie gestorben sind. Ich will wissen, was mich erwartet. Das sind Sie mir schuldig.«
    Aslan schwieg; er war zu weit entfernt, als dass Prabir seinen Gesichtsausdruck hätte erkennen können. Nach einer Weile drehte er um und ging über den Strand davon.
    »Sie können mit dem Beten aufhören!«, rief Prabir ihm nach. »Ich spüre bereits die Macht des Schöpfers in mir! Das ist es, wogegen Sie kämpfen, Sie Idiot! Nach vier Milliarden Jahren ist der alte Packesel endlich aufgewacht, und er wird uns nicht mehr durch die Gegend tragen, wie er es bisher getan hat!«
    *
    Um zwei Uhr nachts war Prabir endlich so müde, dass er schlafen konnte. Er gewann nichts, wenn er wach blieb, und er wusste, dass er die letzten Reste seines Urteilsvermögens verlieren würde, wenn er sich nicht wenigstens ein paar Stunden ausruhte. Er legte sich auf Grants Koje; in der Kabine zirkulierte die Luft viel freier als in der Ecke, die sie ihm zugewiesen hatte. Trotzdem roch das Laken immer noch nach ihrem Schweiß, was in seinem Geist lebhafte Bilder wachrief, Erinnerungen an die vergangene Nacht.
    Er rollte sich von der Koje und richtete sich in der Dunkelheit auf. Er litt zunehmend unter Paranoia. Der Gedanke, Sex mit einer Frau zu haben, hatte ihn niemals abgestoßen; Frauen waren ihm einfach nur gleichgültig, und trotz all seiner pflichtschuldigen und gescheiterten Versuche während seiner Jugend war er möglicherweise nur bisexuell. Auf jeden Fall liebte er Felix, und daran würde sich nichts ändern. Ihre gemeinsame Zeit musste trotz ihrer Kürze etwas bedeuten. Er war keine tabula rasa, kein unschuldiger Embryo.
    Doch wenn sein Gehirn aufgeweicht und neu verdrahtet werden konnte, mochte sich alles verändern. Hier stand nicht nur seine Sexualität auf dem Spiel – die Menschheit hatte sich in viel seltsamere Kompromisse verstrickt, die das São-Paulo-Gen als überflüssig betrachten mochte. Der größte Teil der Evolutionsgeschichte ließ sich auf glückliche Zufälle zurückführen; abgesehen von den ersten paar hunderttausend Jahren der simplen chemischen Replikation hatte niemals die Gelegenheit bestanden, dass sämtliche möglichen Variationen miteinander in Konkurrenz treten konnten. Bei jedem Schritt hatten Zufall und Unvollkommenheit Organismen mit merkwürdigen Eigenschaften hervorgebracht, die sich nach einer gründlichen Erkundung der Alternativen niemals durchgesetzt hätten. Die Komplexität war eine Trittbrettfahrerin des Erfolgs, doch wenn die evolutionäre Effizienz nur um ein Grad strenger gewesen wäre, hätten sich einzellige

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