Teranesia
wiederholte er mit Nachdruck, »hätte es viel mehr als eine bloße Verstärkung des Selektionsdrucks zur Folge. Jede vermeidbare Gefahr der Ausrottung würde den Kontrast zwischen günstigen und ungünstigen Mutationen verschärfen. Wenn jede überlebende kontrafaktische Variante ins Meer abgewandert wäre, würde diese Strategie als Einzige übrig bleiben. Man würde das Gen praktisch dazu drängen, in ein neues Ökosystem zu wechseln.«
Deborah sah auf ihre Uhr und prophezeite: »In weniger als vierundzwanzig Stunden werden wir uns keine Gedanken über Furtado mehr machen müssen.« Prabir blickte sie fragend an, worauf sie erklärte: »Das Lausanne-Team hat einen eigenen Test mit synthetischen Chromosomen gestartet. Das Urteil dürfte gegen morgen Mittag unserer Zeit gesprochen werden.«
Cole, der sich am Rand der Gruppe aufgehalten hatte, warf weltmännisch ein: »All diese Befürchtungen wegen einer ›Infektion‹ würden sich rasch in Wohlgefallen auflösen, wenn Sie sich die Mühe machen würden, meinen Grundsatzartikel über die Ambivalenz gegenüber der Welt der Natur zu lesen – M/Other. Meine Analyse der relevanten kulturellen Indizes über eine Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten zeigt, dass sich die vorherrschenden Emotionen zyklisch verändern, von inniger Zuneigung zu purer Xenophobie und zurück. Pastoralismus, Industrialismus, Romantik, Moderne, Ökologismus, Transhumanismus und Tiefenökologie sind allesamt Produkte dieser Dynamik. Die Zeit der Unsicherheit, in der wir uns gegenwärtig befinden, ist eine krasse Bestätigung meiner These, nach der die nährende und schützende Anwesenheit der Mutter radikal uminterpretiert wird, spirituell umgewandelt wird in eine bedrohliche, entmündigende, ja sogar fremdartige Macht. Aber diese Wahrnehmung wird keinen Bestand haben, weil das Pendel irgendwann zurückschwingen muss.«
Prabir hatte Carpenter beobachtet, während Cole sprach; sein Gesicht hatte einen beunruhigten Ausdruck angenommen, der Anlass zur Hoffnung gab. Einige der Biologen folgten Prabirs Blick, bis alle Anwesenden den Studenten ansahen und auf seine Erwiderung warteten.
»Wenn sich dieses Gen wirklich ausbreitet«, begann er vorsichtig, »wäre das dann nicht eine tolle Sache? Alle Tiere würden sich weiterentwickeln, ihnen würden Hände und opponierbare Daumen wachsen, und wir könnten mit ihnen sprechen. Und wenn es auch mit uns geschieht, könnten wir telepathische Fähigkeiten erlangen. Das wäre die nächste Stufe, nicht wahr? Und warum sollten wir es vom Ozean fernhalten? Wovor haben Sie Angst? Möchten Sie nicht, dass die Riffe träumen? Die Super-Delphine würden uns nicht am Surfen hindern. Sie wären unsere Freunde!«
Prabir bemerkte aus dem Augenwinkel eine Bewegung; als er sich umdrehte, sah er, dass sich der Mediziner und zwei jüngere Soldaten näherten.
Der Mediziner sprach ihn an. »Kommen Sie bitte mit.«
»Warum?« Prabir blickte sich hilfesuchend um. »Sie haben doch schon eine Blutprobe von mir. Was wollen Sie noch?«
»Es geschieht zu Ihrem eigenen Schutz«, sagte der Mann unverbindlich, aber mit Nachdruck.
»Was geschieht zu meinem eigenen Schutz?« Prabirs Blick fiel auf Grant, die ihn mit besorgter Miene betrachtete. Aber sie nickte ihm beruhigend zu, als wollte sie ihm sagen, dass sie ihn nicht im Stich ließ, dass sie sich bemühen würde, ihn hier herauszuholen.
»Sie sind infiziert«, sagte der Mediziner. »Sie kommen in Quarantäne.«
14
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Prabir hatte erwartet, dass er unter Bewachung in einem Zelt am Rand des Lagers isoliert wurde oder dass man ihn vielleicht in einen Käfig sperrte, der aus unbearbeiteten, mit Rattan verknoteten Ästen bestand – die Art von Behältnis, die sich in Filmen scheinbar stets in kürzester Zeit errichten ließ, wenn auf einer tropischen Insel irgendwer dingfest gemacht werden musste.
Die Lord’s Army hingegen hatte die Armaturen von Grants Schiff zerstört, alle Tauben, Schmetterlinge und Blutproben in einem Lagerfeuer am Strand vernichtet, Grants Waffen beschlagnahmt und Prabir in die Kabine gesperrt. Ein Bewacher bezog auf Deck Stellung, ein zweiter am Strand.
Prabir saß im Kapitänssessel vor den zertrümmerten Instrumenten und schaukelte auf dem Stuhl langsam vor und zurück. Die altertümliche PCR-Maschine konnte fehlerhaft gearbeitet haben. Oder sie hatte lediglich das Fragment eines pflanzlichen DNS-Strangs vergrößert, das durch einen Kratzer von einem Stacheldrahtstrauch in seinen Blutkreislauf
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