Teranesia
tadelte sich stumm; er hatte nicht beabsichtigt, sie durch überschwängliche Begeisterung verlegen zu machen.
»Und wohin geht die Expedition?«, fragte er. »Nicht zum Amazonas, hoffe ich! Anscheinend hat man dort die Naturforscher so satt, dass sie einfach abgeknallt werden.«
»Nicht zum Amazonas. Zu den südlichen Molukken.«
»Das ist nicht witzig«, entgegnete Prabir. Natürlich wurde man in Brasilien nicht ermordet, aber er kam sich vor, als hätte sie ein freundliches Knuffen mit einer schallenden Ohrfeige erwidert.
»So war es auch nicht gemeint.« Sie hielt seinem Blick stand; sie war nervöser als jemals zuvor, aber sie log ihn nicht an und sie wollte ihn auch nicht auf den Arm nehmen. »Das ist das Ziel der Expedition.«
»Warum?« Prabir verschränkte unbehaglich die Arme; plötzlich fühlte sich sein Körper so unbeholfen, beinahe missgebildet an. »Warum ausgerechnet dorthin?«
»Reg dich nicht auf.«
»Ich rege mich nicht auf. Ich will es nur wissen.«
Madhusree führte ihn in ihr Zimmer und holte ihr Notepad. »Dieser Bildschirm ist zu klein. Ich werde es dir auf dem Fernseher zeigen.« Sie setzten sich auf die Couch, dann rief sie verschiedene Bilder aus Nachrichtensendungen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf.
Die erste Entdeckung, die die Aufmerksamkeit von Biologen auf der ganzen Welt erregte, war eine Fruchttaube mit ungewöhnlicher Färbung, ein bislang unbekanntes Tarnmuster aus grünen und braunen Sprenkeln. MRI-Scans und DNS-Analysen hatten noch radikalere Unterschiede zutage gefördert. Prabir hörte wie in Trance zu, als Madhusree strukturelle Anomalien der inneren Organe des Vogels und eine ganze Reihe nützlicher Mutationen in wichtigen Blutproteinen beschrieb. Der javanische Zoologe, dem das Exemplar vor sechs Monaten aufgefallen war, hatte es nur bis zu einem Vogelhändler in Ambon zurückverfolgen können, doch nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, dass alles Ungewöhnliche viel Geld einbrachte, konnte man aus dem Sturzbach von Fälschungen und unbedeutenderen Novitäten zwei weitere eindeutige Fälle aussortieren. Da gab es einen toten Baumfrosch mit Jungen, die offenbar in einer wassergefüllten Bauchtasche herangewachsen waren. Und es gab eine Fledermaus, deren Flügelknochen auf recht effiziente, wenn auch unspektakuläre Weise anders angeordnet waren – dank eines voll funktionsfähigen Gens für ein Protein, das die Embryonenentwicklung steuerte und das von keiner anderen Spezies dieses Planeten bekannt war. Beide Tiere waren auf der Insel Seram gefunden worden, etwas mehr als dreihundert Kilometer nördlich von Teranesia.
Madhusree musste ihre Begeisterung zügeln. »Das sind erstaunliche Entdeckungen – genauso wie die Schmetterlinge, aber wer weiß, wie viele Spezies inzwischen betroffen sind? Und es gibt keine vernünftige Erklärung! Was sich auch immer als Ursache erweisen mag, es wird die Biologie mindestens so sehr erschüttern wie Wallace.« Madhusree hielt überhaupt nichts von Darwin; Alfred Wallace mochte viel zu bescheiden gewesen sein, um den ihm gebührenden Ruhm anzuerkennen, aber das hinderte sie nicht daran, die Dinge richtig zu stellen.
Prabir war benommen. »Du hast niemandem davon erzählt? Von den Schmetterlingen?« In den Meldungen gab es keinen Hinweis auf frühere Funde; offenbar verspürten weder die akademischen Kollegen seiner Eltern in Kalkutta noch ihre Sponsoren von Silk Rainbow das Bedürfnis, Kostproben aus ihren unveröffentlichten Arbeiten beizusteuern.
»Vielleicht hätte ich es tun sollen«, sagte Madhusree, »aber ich befürchtete, man könnte vermuten, dass ich mich nur wichtig machen will, um an den Auftrag zu kommen.« Sie lächelte stolz. »Somit habe ich es nur meiner Leistung zu verdanken, dass ich zum Team gehöre. Ich habe sogar im Fragebogen mit ›nein‹ geantwortet, als man wissen wollte, ob ich über ›Dschungelerfahrung‹ verfüge.« Sie überlegte. »Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich meinen Mund halte und abwarte, bis die Expedition von selbst auf die Hinweise stößt. Ich meine, die Hütten müssten eigentlich noch stehen, und dem größten Teil der Ausrüstung dürfte man auch jetzt noch ansehen, welchem Zweck sie einmal gedient hat. Vielleicht findet man sogar noch lesbare Aufzeichnungen.«
Prabir betrachtete sie mit versteinerter Miene. Sie nahm seine Hand und sagte: »Meinst du nicht, dass sie froh darüber wären, wenn einer von uns zurückkehrt? Nachdem es jetzt wieder sicher
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