Terra Madre
Gläschen hausgemachte Tomatensoße wirklich viel mehr?
All diese guten Praktiken, diese Umsicht und dieser Schatz an volkstümlicher Kreativität gingen verloren, während sie doch sparen helfen und zu klingender Münze werden könnten.
Doch wir wollen nicht mehr selbst kochen, wir wollen uns nicht nach guten saisonalen Produkten umsehen, die gleich außerhalb der Stadt oder in der Nähe angebaut werden und wirklich oft weniger kosten. Wenn wir aber all diese Mühen scheuen, dann sollten wir uns auch nicht darüber beklagen, dass Lebensmittel teuer sind.
Die Unsicherheit besiegen
Viele Menschen fürchten, dass die Zukunft der Welt immer unsicherer wird. Zugegeben, die Zukunft ist unsicher, da sie per Definition unvorhersehbar ist. Das führt unleugbar zu einer gewissen Sorge. Aber diese Sorge ist Teil des Lebens. Das System, das aus dem Zeitalter der Aufklärung hervorgegangen war, schien perfekt. Es betrachtete die natürlichen Vorgänge unabhängig von ihrem Kontext, um sie besser zu verstehen. Wenn ein Problem auftauchte, versuchte man, die Abläufe zu verbessern oder neue und effizientere zu erfinden. Man baute Maschinen, die diese Vorgänge nachahmen konnten. Wir dachten, wir hätten begriffen, wie die Natur funktioniert. Wir waren überzeugt, dass wir alles vorhersehen und immer weiter verbessern könnten – und dass wir alles verstehen.
Die Illusion, die absoluten Herrscher über unser Leben zu sein, ließ uns im Glauben, dass wir auch über die Erde ganz nach unserem Belieben verfügen könnten, um aus ihr Nutzen und vor allem Profit zu ziehen. Als jemand, der sich mit Gastronomie und Ökologie beschäftigt, stelle ich eindeutig fest, dass das Fehlen eines ganzheitlichen, systemischen Ansatzes, der alle Verbindungen zwischen den lebenden Systemen einbezieht, äußerst schwerwiegende Schäden verursacht hat.
Anbau, Weiterverarbeitung und Konsum der Lebensmittel wurden, als würde es sich dabei um voneinander völlig unabhängige Prozesse handeln, auf die mechanische Serienproduktion reduziert. Damit ging die tiefere Bedeutung dieser Tätigkeiten, die doch für unser Überleben unabdingbar sind, verloren.
Die Konsumkultur lässt uns unsere Vergangenheit vergessen und löscht unsere Identitäten aus. So verschwinden auch viele alte Sprachen, von denen jede einzelne eine eigene Sicht auf die Welt repräsentiert, weil sie diese beschreibt und interpretiert. Stattdessen triumphiert das Globish, eine stark ausgedünnte Version des Englischen. Der sprachliche Einheitsbrei ist eine der vielen Ausdrucksformen einer Verflachung von Unterschieden. Dabei ist Vielfalt das wichtigste kreative Element, das den Menschen zur Verfügung steht.
Identität entsteht durch Verschiedenheit, durch Austausch und Vergleich zwischen unterschiedlichen Lebensweisen. Die Komplexität der lebenden Systeme – und damit der Existenz selbst – darf nicht eingeschränkt werden. Zum Glück lässt sie sich nicht kontrollieren, denn sie ist ein unerschöpflicher Schatz, aus dem die Menschen vielerlei Nutzen ziehen können, der sie anspornt und ihnen Nahrung gibt.
Die bäuerlichen Gesellschaften und die Lebensmittelbündnisse befinden sich, gerade weil sie ein einfaches Leben führen, mitten in dieser Komplexität und gehen sorgsam mit ihr um, weil sie sich der eigenen Grenzen bewusst sind. Trotzdem verschließen sie sich der Erneuerung nicht. Dieses gelassene, weise, stolze, nicht ängstliche Verhalten wird gemeinhin als »gesunder Menschenverstand« bezeichnet. Inzwischen ist er selten geworden, müsste aber eigentlich sogar in der Schule unterrichtet werden.
Die Welt versinkt nicht in Unsicherheit. Unsicher sind nur diejenigen, die den Anspruch erheben, alles sicher zu wissen. Sie tappen jetzt im Dunkeln, weil sie versuchen, die Probleme mit demselben System zu lösen, das sie erst geschaffen hat.
Die Lebensmittelbündnisse von Terra Madre führen uns vor Augen, dass ein anderes Leben möglich ist. Sie lehren uns, dass wir wieder bei den Lebensmitteln anfangen, sie wieder ins Zentrum stellen müssen, dass wir sie wieder verstehen, anbauen, auswählen und essen müssen, ohne von ihnen gegessen zu werden. Nur so werden wir ein besseres Leben haben.
[ 1 ] Timothy W. Jones, The Garbage Project; siehe http://uanews.org/node/10448
[ 2 ] Deutsche Ausgabe: MegaMüllMaschine. Über die Zivilisation des Abfalls und den Abfall der Zivilisation, Rotbuch Verlag, Hamburg, 1997.
[ 3 ] Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte, deutsch von Heinz
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